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Archiv-Artikel

Vom Geben und Nehmen

Geschenke auszutauschen ist keine einfache Angelegenheit, sondern eine fein austarierte Kulturtechnik. Experte Friedrich Rost erläutert die Hintergründe und warnt vor klassischen Fallen

INTERVIEW LARS KLAASSEN

taz: Herr Rost, Schenken und Beschenktwerden gelten gemeinhin als schöne Angelegenheiten. Warum fühlen sich dann so viele Menschen zu Weihnachten von diesem Prozedere gestresst?

Friedrich Rost: Das hängt nicht zuletzt mit dem Umfang der Aufgabe zusammen. Zu Weihnachten müssen meist viele Dinge für viele Leute gekauft werden. Das ist zum einen keine ganz billige Angelegenheit. Des Weiteren müssen einem noch die passenden Ideen zu all seinen Nächsten einfallen. Und dann haben wir neben all den anderen Vorbereitungen zum Fest noch den Einkauf all der Geschenke zu erledigen, die meist auch noch eingepackt werden müssen. Das Schenken und Beschenktwerden an sich kann deshalb aber trotzdem noch schön sein, wenn das Geschenk erfreut.

Macht also der schnöde Wohlstandsrummel uns das Schenken leidig?

Nein, umgekehrt: Ohne Wohlstand wäre eine Kultur des Schenkens gar nicht möglich. Schenken ist bis heute eine Nachahmung der „Vornehmen“. Schon die Homerischen Gesänge berichten von der Großzügigkeit des griechischen Adels. Ein Gelage wird noch schöner, wenn es Geschenke gibt. Bevor man allerdings etwas verschenken kann, muss man es besitzen oder sich aneignen. Und dieser Aspekt ist geschichtlich ein dunkles Kapitel. Der „edlen“ Freigebigkeit gingen oft Kampf, Raub und Erpressung voraus. Allerdings galt der Kampf um Beute nach damaligem Rechtsverständnis nicht als unehrenhaft, sondern als eine dem Krieger würdige Art der Aneignung, selbst wenn der Gegner deutlich unterlegen war oder der Sieg durch List errungen wurde. Schließlich setzte man das eigene Leben ein, um an die Beute zu kommen.

Sind Geschenke bloß die Kehrseite von Raub?

Es gibt auch eine andere Seite der Kultur des Schenkens: Im Judentum wurden schon vor Jahrhunderten zehn Prozent Armensteuer erhoben. Diese Form der Mildtätigkeit wurde im Christentum noch gesteigert. Dort galt die Anhäufung von Reichtümern bis zum Kirchenvater Clemens von Alexandrien als Sünde. In der Hausväterliteratur nach Luther wurde deshalb gefordert, ein Drittel seiner Überschüsse für Geschenke und gute Werke zu verwenden. Schenken ist aber nicht nur auf mildtätige Gaben beschränkt. Wie bei den alten Griechen gilt auch heute: Zu einem großen Fest gehört große Verausgabung, finanziell wie körperlich. Das beste Beispiel ist unsere Weihnachtskultur. Dazu gehört auch der Stress – seit je.

Wird dieser Stress nicht auch durch den persönlichen Aspekt des Schenkens verursacht?

Gemessen werden Schenkende daran, ob ihre Gabe der Situation und dem Beschenkten gegenüber angemessen ist. Da gilt es, gefährliche Klippen zu umschiffen. Das geht auch in den intimen, persönlichen Bereich. Ein Geschenk sagt viel aus über das Bild, das der Überreichende von seinem Gegenüber hat. Wenn etwa die Frau ihrem Mann ein Fitnessgerät schenkt, kann das als Aufforderung an den Mann verstanden werden, sich mehr um sein Äußeres zu kümmern. Nicht mit jeder Gabe wird Wertschätzung dem anderen gegenüber signalisiert. Um keine unfreiwillig falschen Signale zu senden, empfiehlt es sich, sich über Intention und Aussage seiner Geschenkwahl schlüssig zu werden.

Viele verschenken ohnehin nur unpersönliche Standards, wie Krawatten oder Pralinen. Ein Signal der Einfallslosigkeit?

Gerade diese zwei Beispiele stehen für uralte Klassiker. Nahrung und Kleidung wurden schon immer verschenkt – weil jeder sie braucht. Wenn ich den Anspruch habe, einem mir nahe stehenden Menschen eine Freude zu machen, darf es schon etwas Individuelleres sein. Ansonsten sind Standards kein Problem. Auch Gutscheine sind heutzutage weitgehend akzeptiert – weil alle es damit einfacher haben als mit der Übergabe eines völlig unpassenden Gegenstands. Rund 16 Milliarden Euro werden laut einer Untersuchung jährlich in den USA für falsche Geschenke ausgegeben – also verschwendet. „Erwartbare“ Geschenke vereinfachen das komplizierte System von Beziehungen, die sich in Geschenken widerspiegeln: Da geht es um Nähe und Distanz, Hierarchien und ökonomische Spielräume. Wenn etwa der Chef seiner Sekretärin etwas schenkt, unterstreicht er durch den finanziellen Wert auch seine gehobene Position. Wenn ich einem Freund, der wenig Geld hat, etwas Teures schenke, kann ich ihn hingegen in Verlegenheit bringen.

Ohne ein Mindestmaß an sozialer Kompetenz wird’s also schwierig.

Ein wenig Gespür macht vieles einfacher. Am Anfang gilt vor allem: Nur wenn ich mit jemandem wirklich auf Dauer etwas zu tun haben möchte, sollte ich dieser Person ein Geschenk machen. Denn der erste Schritt initiiert einen meist lang anhaltenden Prozess, der Verbindlichkeiten erzeugt. Auf die erste Gabe folgt ein Gegengeschenk, folgt wiederum eines und so weiter.