Ohne Zweifel

Grüne Wiese oder interkultureller Garten? Ab heute wird der Palast der Republik in Berlin endgültig zum Abriss freigegeben. Doch die zwischengenutzte Palastruine hat eine Wende im Nachdenken der Stadt über sich selbst markiert, nicht zuletzt, da es überall in der Hauptstadt leer stehende Gebäude gibt

Im Neusprech der Ruck-Rhetorik müsste der zwischengenutzte Palast der Republik eigentlich heißen: „Ich bin Berlin“Wäre nicht der Schriftzug „Zu vermieten“ die konsequente Fortsetzung der „Zweifel“ des norwegischen Künstlers Lars Ram?

von UWE RADA

„Am Ziel vorbei“ hat der Ostberliner Verleger und Publizist Christoph Links die unlängst von ihm und Hannes Bahrmann herausgegebene „Zwischenbilanz der deutschen Einheit“ betitelt. Auf dem Cover selbst war ein Foto des Palastes der Republik zu sehen mit großen Lettern auf dem Dach der Ruine: „Zweifel“.

Zweifel mitten in Berlin, am symbolischsten Ort, den die Stadt besitzt und wohl auch ihrem umkämpftesten. Die sechs Meter hohen, zehn Tonnen schweren und nachts neonhell erleuchteten Buchstaben, die der norwegische Künstler Lars Ram der deutschen Hauptstadt aufs Dach setzte, waren der vielleicht sichtbarste Ausdruck im Ringen einer Stadt mit sich selbst und ihrer Mitte. Und natürlich, die „Zweifel“ auf dem Cover des Buches von Christoph Links und Hannes Bahrmann zeigten es, auch im Ringen der Deutschen um ihre Einheit.

Vordergründig scheint die Sache klar. Der Bundestag hat gleich zweimal schon für den Abriss des Palastes der Republik votiert und für die Errichtung eines „Humboldt-Forums“ an seiner Stelle – in der Kubatur des 1950 gesprengten Berliner Stadtschlosses und als Zugabe gewissermaßen eine Kopie seiner barocken Schlossfassaden.

Dagegen hat sich eine Protestbewegung formiert, die sich mit Hilfe des Berliner Kultursenators Thomas Flierl von der Linkspartei Zugang zur Palastruine verschaffte und seit nunmehr zwei Jahren eine recht erfolgreiche „Zwischennutzung“ betreibt. Um keine neuerliche Debatte um Sinn und Unsinn des Abriss- und Neubaubeschlusses aufkommen zu lassen, will die Berliner Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) schnellstmöglich mit dem Abbau der Ruine beginnen und auf dem Gelände eine grüne Wiese entstehen lassen.

Die Abrissgegner wiederum fordern ein Abrissmoratorium, weil ihnen die kurz vor der Wahl vorgestellte „Machbarkeitsstudie“ der rot-grünen Bundesregierung für das Humboldt-Forum und sein ambitioniertes Nutzungsprogramm unseriös erscheint. Darüber hinaus, heißt es, seien wesentliche Fragen der Finanzierung ungeklärt. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, rufen die Abrissgegner für den heutigen Samstag zu einer Demonstration auf. Angekündigt hat sich auch der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der damit auch gegen die bisherige Position der grünen Bundestagsfraktion protestiert, die sich in persona Antje Vollmer in der Vergangenheit für das Stadtschloss ausgesprochen hatte.

Als ob das alles nicht genug wäre, meldete sich dieser Tage auch noch die Schlossfraktion in Gestalt von Wilhelm von Boddien zu Wort und gab zu Protokoll, dass die Weihe der wiederaufgebauten Frauenkirche in Dresden auch dem Spendenaufkommen seines Fördervereins Stadtschloss einen „regelrechten Schub gegeben“ habe.

Namentlich der Vergleich mit Dresden aber zeugt von der Absurdität der Berliner Aufgeregtheiten. Konnte man den Wiederaufbau der Frauenkirche – je nach Lesart – als Wiederherstellung der barocken Dresdner Silhouette, die Versöhnung der Deutschen mit ihrer Geschichte oder als Umschreibung derselben deuten, entzog sich der Wiederaufbau des Stadtschlosses von Anfang an jeglicher Überhöhung ins Nationale. Weder war der Palast der Republik bloßes Symbol der DDR-Diktatur, noch war das Stadtschloss, das ihm zum Opfer fiel und nun wieder die Silhouette Unter den Linden prägen soll, unschuldiges Kulturerbe der Preußen. Geschichtspolitik à la Dresden jedenfalls lässt sich mit dem Neubau der barocken Schlossfassaden nicht betreiben.

Die Irrungen und Wirrungen der Schlossdebatte sind deshalb weitaus mehr der Spiegel einer Berliner Diskussion um das zukünftige Bild der Stadt. Dazu gehört auch, dass der Palast der Republik, den zu erhalten gleich nach der Wende die Mehrheit der Ostberliner angetreten war, längst tot ist, asbestsaniert, bis aufs Stahlbetonskelett entkernt. Die Parole „Stoppt den Abriss“, mit dem die Abrissgegner heute auf die Straße gehen, ist damit genauso ein Fake wie die Schlossfassade, die die ehemalige Expertenkommission der Bundesregierung dem Humboldt-Forum samt Museum für außereuropäische Kulturen und Berliner Stadtbibliothek überstülpt. Der Abriss hat nämlich längst stattgefunden. Dennoch gibt es am Berliner Schlossplatz etwas zu verteidigen. Etwas, das mehr ist als die Erinnerung an Erichs Lampenladen und legendäre Konzerte in Berlin, Hauptstadt der DDR. Durch die zwei Jahre der Zwischennutzung ist aus dem Palast der Republik kraft der Hegel’schen Dialektik von These, Antithese und Synthese ein Ort entstanden, von dem es im Neusprech der Ruck-Rhetorik eigentlich heißen müsste: „Ich bin Berlin.“

Sasha Waltz’ Tanzcompagnie in Bewegung zwischen den Stahlskeletten, die Ausstellung „Fraktale“ mit Positionen zeitgenössischer Künstler zum Thema Tod oder auch die Jahrestagung der Unternehmensberatergesellschaft McKinsey haben aus dem Palast der Republik einen staatsfreien Raum gemacht, der genau jene Dynamik von Kreativität und Aufbruch freisetzt, die von den Ruck-Rhetorikern immer eingefordert wird. Das kann man „neoliberal“ finden, wie es der Architekt und Künstler Jesko Fezer einmal gemacht hat, oder auch nur nach vorn gerichtet. Ohne Zweifel aber hat die zwischengenutzte Palastruine mit dem „Zweifel“, den sie der Stadt verordnet hat, eine Wende im Nachdenken der Stadt über sich selbst markiert.

Das betrifft zuallererst die Profession, der auch die Abriss- und Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer qua Amt angehört – die Planer und Architekten. Jahrelang wurde in der Hauptstadt der Verdrängung an der Wachstumsplanung aus Nachwendezeiten festgehalten, obwohl doch jeder wusste, dass Berlin eher schrumpfen als wachsen würde. Die Folge sind fast 180.000 leer stehende Wohnungen, 1,7 Millionen Quadratmeter Bürofläche, die vor sich hingammeln und öffentliche Gebäude, die keiner mehr braucht, so dass selbst der Liegenschaftsfonds, der diese zu Kapital machen soll, den Überblick verloren hat.

Inzwischen kommt selbst Junge-Reyer nicht mehr umhin, einzuräumen, dass nicht mehr die Planung weiterer Baumaßnahmen das Gebot der Stunde ist, sondern die Zwischennutzung des vorhandenen Bestands. Nur – eben nicht am Palast der Republik.

Nur, warum eigentlich nicht? Wäre nicht der Schriftzug „Zu vermieten“ die konsequente Fortsetzung der „Zweifel“ von Lars Ram? Ein weithin sichtbares Signal, dass es der Mitte der Stadt nicht anders geht als ihren Rändern? Und eine Aufforderung, in die Ruine zu kommen und wieder einen Palast aus ihr zu machen – den Palast der Berliner. Zur Botschaft, die Rams „Zweifel“ in die Stadt hinaus strahlten, gehörte ja auch deren sofortige Überwindung durch ungeordnetes Handeln.

Aber nein, es soll nicht sein. Nicht mehr „Ich bin Berlin“ wird es am Berliner Schlossplatz künftig heißen, sondern „Ich bin eine Wiese“. Wem fiele da nicht der Barockdichter Andreas Gryphius ein, der um 1630 in seinem Sonett „Es ist alles eitel“ schrieb: „Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden / Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein / Wo itzund Städte stehen, wird eine Wiese sein / Auf der ein Schäferkind wird spielen mit der Herden.“

Auf denn also. Dann soll es also keine Zwischennutzung in der Palastruine mehr sein, die in der Berliner Mitte die Zukunft der Stadt markiert, sondern eine Wiese. Die ehemalige Kultursenatorin und heutige Leiterin des Hauptstadtkulturfonds, Adrienne Goehler, hat für diesen Fall schon die nächste Parole ausgegeben: „Wenn die unbedingt eine Wiese haben wollen, dann machen wir daraus eben einen interkulturellen Garten.“