Auswanderer bekämpfen die Armut

Die Weltbank stellt die positiven Seiten der Migration in den Vordergrund: Auswanderer überweisen Milliarden Dollar nach Hause. Sie bringen damit mehr Geld als die Entwicklungshilfe. Nachteil ist der Brain Drain in sehr armen Herkunftsländern

VON NICOLA LIEBERT

Die fast 200 Millionen Migranten in der Welt tragen mehr zu Armutsbekämpfung bei als die gesamte Entwicklungshilfe. Zu diesem Ergebnis kommt die Weltbank in Bericht, den sie gestern in Berlin vorstellte. Allein in diesem Jahr überwiesen Auswanderer 232 Milliarden Dollar in ihre Heimatländer. Die Summe habe sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt.

Das Geld kommt zum großen Teil den Entwicklungsländern zugute: In diesem Jahr fließen ihnen 167 Milliarden Dollar zu. Das ist mehr als das Doppelte aller Entwicklungshilfeleistungen und vergleichbar mit den Direktinvestitionen in diese Länder. In Lesotho, Haiti oder Moldawien machen die Überweisungen gar ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts aus.

Migranten „sind ein machtvolles Mittel zur Bekämpfung der Armut“, sagt der Chefökonom der Bank, François Bourguignon. Fallstudien belegen, dass mit Hilfe des überwiesenen Geldes die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und für Investitionen zunehmen. Die stetigen Deviseneinnahmen, die die Entwicklungsländer auf diese Weise verzeichnen, verbessern zudem ihre Kreditwürdigkeit. So werden ihre Kreditkosten gesenkt.

In ihrem Bericht konzentriert sich die Weltbank zwar nur auf die ökonomischen Aspekte der Migration. Sie mahnt darin aber auch, dass die Politiker die sozialen und politischen Nebenwirkungen nicht aus den Augen verlieren dürften – nicht zuletzt wegen der Unruhen in Frankreich.

Die Weltbank ruft die Industrieländer auf, die Bedingungen für Migranten zu verbessern. Demnach sollten diese illegale Einwanderung eher durch besseres Migrationsmanagement bekämpfen als durch Abschotten und hartes Durchgreifen. Die Bank propagiert beispielsweise, gering qualifizierten Migranten befristete Arbeitsgenehmigungen zu erteilen. Die Weltbank und andere Organisationen weisen seit längerem darauf hin, dass auch die Zielländer, die oft mit stark fallenden Geburtenraten konfrontiert sind, einen Nutzen aus der Migration ziehen. Auch von den Qualifikationen der Migranten können sie profitieren. In den USA, so schätzen Experten, lassen zehn Prozent mehr eingewanderte Wissenschaftler die Anzahl der Patentanmeldungen um rund fünf Prozent steigen.

Die Weltbank weist in ihrem Bericht aber auch auf Probleme hin, die die Migration mit sich bringt – nicht nur in den Einwanderungsländern, sondern vor allem in den Herkunftsländern. Denn Chancen, im Ausland Arbeit zu finden, haben gerade die qualifiziertesten Arbeitnehmer. Die fehlen dann im Heimatland. Dieser Brain Drain sei besonders dramatisch in kleinen und armen Entwicklungsländern.

In Indien oder China wandern nur drei bis fünf Prozent aller Hochschulabsolventen aus. In Zentralamerika oder Afrika sind es dagegen rund 50 Prozent. Eine Lösung für das Problem zu finden, etwa durch die Schaffung besserer Verdienstmöglichkeiten für qualifizierte Arbeitnehmer, sei eine der großen Herausforderungen für die Entwicklungspolitik der kommenden Jahre, so die Weltbank.

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