: „Zahlen oder warten“
Die Verbraucherschützerin Julia Nill über Ärztetricks und die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatienten
taz: Frau Nill, kommen oft Kassenpatienten zu Ihnen, die schlechter behandelt werden als Privatversicherte?
Julia Nill: Schon, aber meist geht es nicht um die Behandlung, sondern um die Wartezeiten. Zum Beispiel ein Patient, der einen Orthopädentermin erst in sechs Wochen bekommen hat und als Privatversicherter schon in zwei Tagen drangekommen wäre.
Was tun Sie dann?
Das ist ein heikles Thema. Ein Arzt mit Kassenzulassung muss einen Patienten nur nehmen, wenn es ein Notfall ist. Sonst kann er sagen, dass er keine Kapazitäten hat. Und ihm nachzuweisen, dass er nur lukrative Patienten nimmt, ist schwierig.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir erleben das im Moment ganz stark bei Kieferorthopäden. Die sagen: Sie müssen eine Zuzahlung von 2.000 oder 3.000 Euro leisten, denn wir bieten eine höher wertige Behandlung an. Was die Kasse zahlt, ist nicht so gut.
Und wenn die Patienten das nicht wollen?
Dann heißt es: Ja, in diesem Fall haben wir leider keine Kapazitäten mehr frei.
Beschweren sich Menschen bei Ihnen auch, weil sie eine Therapie nicht bekommen?
Zum Beispiel wenn Rückenbeschwerden da sind. Dann gibt es Privatkliniken, die so operieren, dass die Patienten weniger lang im Krankenhaus sind. Die ganze Geschichte kostet auch weniger, aber die Kasse zahlt gar nichts, weil die Klinik keine Kassenzulassung hat. Da haben wir sehr enttäuschte Briefe von Patienten.
Kommt es vor, dass Ärzte sagen: Was will denn der AOK-Opa? Der bringt ja gar nichts.
Haben wir immer wieder. Das wird ganz akut, wenn sich eine Kasse mit den Ärzten um Honorare streitet. Manche Ärzte drängen ihre Patienten, die Kasse zu wechseln. Vor zwei, drei Jahren wurden Hitlisten erstellt. Ganz vorn waren die Kassen, die die höchsten Pauschalen für eine Behandlung bezahlen. Den Patienten wurden die Listen in die Hand gedrückt mit der Empfehlung, doch zu wechseln.
Die Ärzte finden, dass sie es schwer haben.
Die Ärzte leiden auf sehr hohem Niveau. Die Honorare werden ja nicht vom lieben Gott festgelegt, sondern von Ärzte- und Kassenvertretern ausgehandelt. Und es ist nicht so, dass die armen Ärzte da völlig untergebuttert werden.
Was halten Sie vom Vorstoß der Gesundheitsministerin, dass Ärtze für alle Patienten das Gleiche bekommen sollen?
Vorausgesetzt, die Honorare pendeln sich auf dem Kassenniveau ein und die Kosten steigen nicht, wäre das gut. Alle Patienten würden dann gleich behandelt.
Aber würden die Ärzte nicht noch stärker Extraleistungen anbieten, die Sie kritisieren?
Dieser Markt boomt sowieso. In manchen Praxen schiebt die Arzthelferin schon jetzt jedem einen Zettel unter, was er noch so alles braucht. Da werden die Kassenpatienten zusätzlich zu Privatpatienten gemacht. INTERVIEW: GEORG LÖWISCH