: Heraus aus der Pelztasse
SURREALISMUS Viel mehr als Pelz: Aus Anlass ihres 100. Geburtstages präsentiert das Sprengel Museum rund 60 Werke der schweizerischen Künstlerin Meret Oppenheim. Und stellt als erste Museumsschau das zeichnerische Werk in den Mittelpunkt
VON ROBERT MATTHIES
Der weltweite Ruhm kam über Nacht. Gerade 23 Jahre alt war die deutsch-schweizerische Künstlerin Meret Oppenheim, als sie 1936 – der später von ihr widersprochenen Legende nach durch eine Anregung Pablo Picassos und Dora Maars – ein im Kaufhaus erworbenes Porzellanservice mit Tasse, Unterteller und Löffel vollständig mit dem Pelz einer chinesischen Gazelle beklebte und lapidar mit „Tasse und Löffel mit Pelz verbrämt“ betitelte.
1936 war die kuriose „Pelztasse“ in einer Gruppenausstellung der Surrealisten in Paris und in der Folge in allen wichtigen Surrealisten-Ausstellungen des Jahres zu sehen und wurde schließlich von Alfred Barry für das Museum of Modern Art in New York erworben. Wo der aus seiner banalen Gebrauchstüchtigkeit unwiderruflich ausgebrochene und verwilderte Alltagsgegenstand ein Jahr darauf in der Ausstellung „Fantastic Art, Dada, Surrealism“ die Fantasie zehntausender Amerikaner anregte wie kein zweites Objekt der Ausstellung, Wut, Ekel, Gelächter und Entzücken gleichermaßen provozierte – und zum Symbol des Surrealismus und einem Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts wurde.
Da hatten die männlich geprägten Pariser Surrealisten-Stammtische Oppenheims Pelztasse über die Absage an den profanen Gebrauch hinaus längst in einem sexualisierten Kontext verortet. André Breton erfand im Almanach der Surrealisten 1938 jenen Titel, unter dem das Werk bis heute firmiert: „Déjeuner en fourrure“, „Frühstück im Pelz“, eine ganz bewusste Anspielung auf Eduard Manets Skandalbild „Le déjeuner sur l’herbe“ und Leopold von Sacher-Masochs Novelle „Venus im Pelz“.
1932 war Oppenheim gemeinsam mit der befreundeten Malerin Irène Zurkinden von Basel nach Paris gezogen, um Kunst zu studieren. Sie lernte Sophie und Hans Arp, Marcel Duchamp und Alberto Giacometti kennen, der sie André Breton vorstellte und in den Kreis des Café de la place Blanche einführte. Bald stellte Oppenheim im Kreis der Surrealisten aus, hatte Liebesbeziehungen mit Max Ernst und dem Fotografen Man Ray, der sie 1934 im Bildzyklus „Èrotique violée“ – „Verschleierte Erotik“ – nackt hinter dem Rad einer Druckerpresse fotografierte.
Doch es war gerade die Stilisierung als „Muse der Surrealisten“, die Oppenheim 1937 Paris verlassen und in die Schweiz zurückkehren ließ, in eine tiefe Schaffenskrise stürzte und zeitlebens für ihre intellektuelle und künstlerische Unabhängigkeit gegenüber den früheren Weggefährten kämpfen ließ. Ende der 1950er begann Oppenheim wieder intensiv zu arbeiten und als Teil der jungen Schweizer Kunstszene um Daniel Spoerri in Bern große Erfolge zu feiern.
Angeknüpft hat sie dabei immer wieder an ihre Pariser Zeit, aus deren Bann sie sich indes zunehmend zu befreien versuchte. 1970, als ein Galerist eine Auflage der Pelztasse als Multiple herausgeben wollte, verweigerte sich Oppenheim und entwarf stattdessen ein ironisiertes „Souvenir du déjeuner en fourrure“ aus Stoff, Pelz, Kunstblumen und Pailletten unter Glas. 1984, zwei Jahre nach ihrer Teilnahme an der documenta 7, wehrte sie sich gegen die Ausstellung von Man Rays Fotos im Rahmen einer Retrospektive im Musée d’art moderne de la ville de Paris, weil ihr Werk nichts mit dem Körper des jungen Mädchens zu tun habe.
Aus Anlass ihres 100. Geburtstages widmet das Sprengel Museum Oppenheim nun die Ausstellung „Über den Bäumen“ und stellt in deren Zentrum als erste Museumsschau in Deutschland Oppenheims zeichnerisches Werk. Zu sehen sind rund 60 Werke von 1936 bis 1984, die chronologisch und thematisch – Verhältnis zur Natur und zum Unbewussten, Androgynitäts- und Erotik-Thematik – geordnet Einblicke in vielfältige Oppenheim’sche Arbeitsbereiche geben. Ergänzend dazu veranschaulichen Papierarbeiten unter anderem von Man Ray, Hans Arp und Max Ernst den kunsthistorischen Kontext.
■ Hannover: Mi, 20. 2. bis So, 5. 5., Sprengel Museum, Kurt-Schwitters-Platz 1, Di 10 – 20 Uhr, Mi – So 10 – 18 Uhr