JANNIS HAGMANN LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Die Gretchenfrage der Islamisten
Mitte der Nullerjahre traten Islamisten und westliche Wissenschaftler in einen einzigartigen Dialog. Es ging um die Frage, warum der Westen den Islamisten nicht glaubt, wenn diese sich zur Demokratie bekennen. Was, fragten die Bärtigen damals, müssen sie tun, um Vorurteile im Westen abzubauen und an Glaubhaftigkeit zu gewinnen?
Die Wissenschaftler antworteten: „Islamistische Bewegungen hatten bislang keine Möglichkeit, auf demokratische Weise an die Macht zu kommen.“ Das Misstrauen sei also wohlbegründet, könnte aber ausgeräumt werden, indem die Islamisten unmissverständlich die „Grauzonen“ in ihren Programmen tilgen. Mit „Grauzonen“ meinten die Analysten der US-Denkfabrik Carnegie Endowment uneindeutige Positionen von Gruppen wie der ägyptischen Muslimbruderschaft, etwa was die Rechte von Frauen und Christen angeht.
Heute, nachdem die Islamisten die von der liberalen Jugend angezettelten Revolutionen gekapert haben, ist die damals reichlich realitätsferne Frage aktueller denn je. Kein Wunder also, dass Petra Ramsauer in ihrem neuen Buch nicht mehr die aufmüpfigen Jugendlichen, sondern islamistische Akteure in den Mittelpunkt stellt. Über den reißerischen Buchtitel „Mit Allah an die Macht“ kann man streiten, aber die österreichische Journalistin greift die alte Frage wieder auf: Wie haben’s die Islamisten mit der Demokratie?
Die jüngsten Entwicklungen geben wenig Anlass, ihnen ihr Bekenntnis zur Demokratie abzunehmen. Ramsauer schreibt, „dass an dem alten Vorurteil gegen die Muslimbruderschaft etwas dran sein könnte: Demnach gab es immer eine große Diskrepanz zwischen Sein und Schein.“ So richtig entscheiden will sich die Autorin aber nicht. Noch hat sie Hoffnung, dass die Islamisten es mit der Demokratie doch ernst meinen könnten. Es gibt also weiterhin Diskussionsbedarf. Und mittlerweile interessieren sich nicht mehr nur die Wissenschaftler dafür.
■ Der Autor ist taz-Volontär Foto: Anja Weber
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