Gymnasien bekommen Sonderbehandlung

Gesamtschulen und GEW protestieren gegen Privilegien der Gymnasien: Die Schulministerin will diese von zentralen Abschlussprüfungen nach der zehnten Klasse verschonen. „Das ist Gesetzesbruch“, sagt der NRW-Vorsitzende der GEW

DÜSSELDORF taz ■ Schulministerin Barbara Sommer (CDU) hofiert die Gymnasien: Sie sollen sich nicht an den Zentral-Abschlussprüfungen beteiligen, die ab 2007 am Ende der zehnten Klasse laut neuem Schulgesetz für alle Schulformen Pflicht werden sollten. Per Erlass will die Ministerin den Gymnasien jetzt – zumindest bis 2008 – die Prüfungen ersparen. GesamtschullehrerInnen und Gewerkschaften protestieren gegen die Ungleichbehandlung.

„Es ist nicht einzusehen, dass eine ganze Schulform sich aus der Prüfung verabschiedet“, sagt Dagmar Naegele, Vorsitzende der Gesamtschulverbandes NRW. Geprüft werden soll in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik – vom Niveau her angepasst an den angestrebten Abschluss. Der Philologenverband, die Lobby-Vereinigung der Gymnasiallehrer, hatte sich bei der Schulministerin darüber beschwert, dass die Belastung durch die zeitgleiche Einführung des Zentralabiturs für ihre Schulform schon stark genug sei. „Gesamtschulen haben die gleiche Belastung“, sagt Naegele. Wenn man durch die zentrale Abschlussarbeit Standards überprüfen wolle, könne man die Gymnasien nicht außen vor lassen. „Schließlich will ja nicht jeder Gymnasiast Abitur machen.“

Nägele vermutet hinter der Privilegierung der Gymnasien eine „Scheibchen-Technik“, um die Arbeit der Gesamtschulen zu untergraben. „Wenn man auf Gymnasien keine Prüfungen machen muss, um zum Abitur zugelassen zu werden, melden immer weniger Eltern ihre Kinder auf Gesamtschulen an“, so Naegele. Wenn die Landesregierung von den Gesamtschulen erwarte, dass sie sich am Markt behauptet, „dann bitte zu den gleichen Marktbedingungen“. Wenn Sommer eine Gruppe bevorzuge, gefährde sie damit den „politischen Frieden“.

Die GEW sieht den Erlass der Schulministerin nicht nur als „eklatante Ungleichbehandlung“, sondern als Gesetzesbruch an: „Seit wann kann die Ministerin sich über die Beschlüsse des Landtags hinwegsetzen?“, will der Vorsitzende Andreas Meyer-Lauber wissen. Er hat den Eindruck, dass die Schulministerin schlecht vorbereitet ist. „Wenn das so ist, muss diese Zentralprüfung für alle verschoben werden.“

Das Ministerium wollte sich gestern auf den Erlass nicht festnageln lassen. Was auch immer Frau Sommer angekündigt hätte, so ihr Sprecher Oliver Mohr, „wir haben noch nichts beschlossen“. Es gebe gute Gründe dafür, den Gymnasien die Prüfungen zu ersparen, „aber es gibt auch gute Gründe, die dagegen sprechen.“

Der Philologen-Verband NRW verteidigt die Sonderstellung der Gymnasien. Eine formale Prüfung in der zehnten Klasse sei für Gymnasiasten „unvernünftig“, so der Landesvorsitzende Peter Silbernagel. Das sei ein Relikt eines Stufenkonzeptes, das es vor allem im Hinblick auf das „Abitur in 12 Jahren“ nicht mehr gebe. „Das Gymnasium ist ein Bildungsgang, der mit dem Abitur abschließt“, will Silbernagel an die Funktion der Einrichtung erinnern. Schließlich seien es nur fünf bis acht Prozent, die vor dem Abitur von der Schule abgingen, weniger als an Gesamtschulen. „Wenn jemand vorher abgehen will, kann er auf der Realschule die Prüfung machen.“

Die Gymnasiasten-Lobby scheint mit der Realschule einen Verbündeten gewonnen zu haben. „Wir können den Widerstand der Gymnasien verstehen“, sagt Heinz Kampermann, stellvertretender Landesvorsitzender des Realschulverbandes NRW. Gerne könnten die vor dem Abitur abgehenden SchülerInnen ihre Prüfung an der Realschule machen. NATALIE WIESMANN