: Die Müdigkeit vor dem Blues
Zum Schauspiel kam sie wegen einer Liebesgeschichte, seit zwei Jahren gehört sie fest zum Gorki-Theater. Weil Rosa Enskat neben anarchischen Rollen auch singt, hat heute ihr Liederabend „Konzert N° 2“ in den Sophiensælen Premiere. Ein Porträt
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Die Wiederholung, das macht ihr im Moment zu schaffen. Rosa Enskat denkt über ihr Leben nach und fragt sich furchtsam: Kommt da noch was Neues oder ist ab jetzt alles Wiederholung, Varianten des schon Gelebten. „Mit 25, 30 Jahren lag das Leben wie ein Berg vor mir, aber jetzt scheint alles nur noch Variation zu sein. Jeden Tag aufstehen, rumrennen, hinlegen.“ Das klingt so müde und melancholisch, morgens im Café, kurz bevor sie zur Probe für „Konzert N° 2“ aufbricht. Und es ist schon der erste Vorgeschmack auf einen Abend, der der Sehnsucht nach Veränderung und der Angst vor der eigenen Lethargie gewidmet ist. „Thematisch altersbedingt“, meint Rosa Enskat, aber das ist ein bisschen kokett, schließlich ist ihr Leben noch nie lange auf nur einer Bahn verlaufen.
Über 20-mal steht Rosa Enskat zurzeit in einem Monat auf der Bühne; kein Wunder, dass ihr da die Wiederholung zu schaffen macht. Im November und Dezember spielt sie im Gorki-Theater in der „Dreigroschenoper“ von Brecht, im „Weiten Land“ von Schnitzler, in Gorkis „Nachtasyl“ und im Weihnachtsmärchen „Väterchen Frost“. Es sind nicht immer große Rollen, in denen man sie sieht, aber fast immer fällt da ein leichter Widerstand auf, so einfach in den vorgezeichneten Konturen zu verschwinden. Man spürt, wie sie auf der Bühne sucht, sich wirklich zu einer Situation zu verhalten und zu fühlen, was zwischen den Menschen passiert. Und welche Kraft es kosten kann, das über lange Probenzeiten und viele Wiederholungen in den Aufführungen immer wieder herzustellen.
Dabei liebt sie das Unwägbare und das Risiko, etwas aus dem Moment entstehen zu lassen. Wie „Konzert N° 2“, der Liederabend mit Susanne Jansen, der heute Abend in den Sophiensælen Premiere hat. Die Zahl der Proben ist im eigenen Projekt viel kleiner als am Theater: Rosa Enskat und Susanne Jansen, beide ausgebildet als Sängerinnen, haben sich über die Musik gefunden, die Liebe zu Jazz und Blues. Sie stellten im „Konzert N° 1“ ihre Lieblingslieder vor; „N° 2“ folgt erstmals einer thematischen Klammer: der Sehnsucht, nicht stehen zu bleiben, nach Aufbruch, neuen Zielen. Eine emotionale Lage, für die einerseits die eigene Situation, aber auch Tschechows „Drei Schwestern“, die sich nach Großstadt, Freiheit, Liebe und Arbeit sehnen, einen vagen Entwurf bildeten. Das zu verbinden ist auch eine Suche danach, was einen denn wirklich ausmacht, unabhängig von der Gesellschaft, in der man lebt. Gibt es da überhaupt etwas?
Oh, klingt das alles nach November, wie er gerade mit ersten eisigen Schauern vorbeizieht. Wer Rosa Enskat aber jemals auf der Bühne erlebt hat, weiß, dass von ihr auch in dieser Stimmung noch etwas anderes zu erwarten ist: Eine anarchische Lust, jedes noch so fein gesponnene Kunstgewebe mit festem Griff zu durchstoßen, eine Bereitschaft zum Witz und dazu, sich mit dem Blick des Zuschauers von außen zu verbünden, der den Vorgängen auf der Bühne auch nicht ganz traut. Dieses energische Talent konnte sie in der letzten Spielzeit in der „Radio-Show“ entwickeln, in der sie zusammen mit Moderatoren des Senders Radio Eins auf der Bühne stand und mit diesen Laien des Theaters eine ganz eigene Form der Improvisation entwickelte. Ihre Rolle war die der Sekretärin zweier Anwälte, die mit ungeheuerlicher Dominanz das Spiel sowohl zwischen den Figuren als auch den Darstellern am Zügel hielt.
Seit zwei Jahren ist sie am Gorki-Theater, erstmals in einem festen Engagement. Tatsächlich spielte für ihre eigene Schauspielkarriere eine Rolle, Außenseiterin des Theaterbetriebs zu sein. Sie kam aus Neubrandenburg nach Berlin, weil sie sich in einen Schauspieler verliebt hatte und nun auch Schauspielerin werden wollte. Ausgebildet war sie als technische Zeichnerin, arbeitete auch von 1979 bis 1986 in dem Beruf in Neubrandenburg und Berlin, zeichnete Panzer und Industrierohre und spielte Theater im Theaterzirkel Kabelwerk Oberspree, als sie zu einer regulären Ausbildung nicht angenommen wurde. Später machte sie Führungen im Pergamonmuseum und studierte Gesang an der Hochschule für Musik „Hans Eisler“; in dieser Zeit entdeckten sie junge Regisseure der Schauspielschule.
Das ist nur ein kleiner Teil ihrer Stationen, Veränderungen gab es viele. „Dabei“, sagt Rosa Enskat, „hasse ich doch Veränderungen“ – und ist sich im gleichen Moment bewusst, sich selbst zu widersprechen. Aber das ist es ja gerade, dass der Wunsch, dass nichts sich ändert und man jeden Abend sicher weiß, was man am nächsten Tag zu machen hat, ebenso präsent ist wie die Furcht, dass es genau so werden könnte. Beides wahrzunehmen und in der Balance zu halten, diese Erfahrung hat sich in ihr angereichert und wird weitertransportiert.
Während sie erzählt, merkt man, wie sie immer wieder darüber nachdenkt, was war eigentlich Zufall und was habe ich selbst entschieden? Und sie fasst es am Ende des Gesprächs in diesen schönen Satz: „Wer weiß, hätte ich mich damals nicht in einen Schauspieler verliebt, sondern in einen Straßenbahnschaffner, vielleicht wäre ich heute bei der BVG.“
Konzert N° 2, am 23./24. und 26./27. November, 21 Uhr, in den Sophiensælen, Sophienstraße 18