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Archiv-Artikel

Bombige Stimmung in Oranienburg

ALTLASTEN Suche nach Kriegsmunition aus dem Zweiten Weltkrieg stoppt den S-Bahn-Verkehr

Bombensuche erstmals flächendeckend auf wissenschaftliche Weise

Absperrungen und farbige Markierungen, 13 Meter tiefe Löcher und Gräben im Boden: Am S-Bahnhof Oranienburg wird systematisch nach gefährlicher Kriegsmunition gesucht. Eine Folge der Aktion, die voraussichtlich noch bis 3. März dauern wird: Die S-Bahn-Linie 1 endet nun in Birkenwerder, Oranienburg wird nicht mehr angefahren. Von den Stationen Birkenwerder, Borgsdorf, Lehnitz und Oranienburg fahren ersatzweise alle 20 Minuten Busse.

Ob hier eine Bombe eingeschlagen hat? Gewissermaßen: Im Zweiten Weltkrieg wurde Oranienburg massiv bombardiert – um die dort ansässige Rüstungsindustrie zu zerstören, und auch weil die Alliierten dort Teile der Atomwaffenproduktion der Nazis vermuteten. Insgesamt wurden mehr als 10.000 Bomben auf Ziele der Rüstungsindustrie und der Infrastruktur abgeworfen – laut „Spyra-Gutachten“ der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus werden noch knapp 330 davon im Boden vermutet, insgesamt 52 Tonnen Sprengstoff.

Die Flächen der Deutschen Bahn wurden dabei in die höchsten Gefährdungsklassen eingestuft. Die Stadt reagierte auf das Gutachten von Professor Wolfgang Spyra und beauftragte die Deutsche Bahn, die Suchaktion zu koordinieren, sagt Gisbert Gahler vom Regionalbüro der DB Kommunikation Berlin. Die Bahn hatte sich im öffentlich-rechtlichen Vertrag zur flächendeckenden „Kampfmittelerkundung“, wie die Suchaktion heißt, bis 2015 verpflichtet.

Aufgrund der Bodenbeschaffenheit in Oranienburg blieben bei vielen der abgeworfenen 5- bis 10-Zentner-Bomben die Explosionen aus, der Zündmechanismus blieb allerdings aktiv – oft genug bis heute.

Geborgen und entschärft

Diese Bomben werden nun geborgen und entschärft. Allein auf der S-Bahn-Strecke zwischen Oranienburg und Lehnitz werden 15 sogenannte Verdachtspunkte vermutet – „Metallfunde, die je nach Größe und Aussehen als mehr oder weniger gefährlich eingestuft werden“, sagt Gahler. Die Untersuchungen müssen dabei laut Spyra-Bericht völlig erschütterungsfrei erfolgen. Weil die Fundstellen zu dicht an den S-Bahn-Gleisen liegen, bleibt die Strecke deshalb gesperrt.

Es gab bereits mehrere Anläufe, die Altlasten zu entschärfen. Bereits während des Krieges begannen die Aufräumarbeiten in der Stadt – teilweise wurden dafür KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter eingesetzt. Zu DDR-Zeiten sind mehr als 200 Blindgänger beseitigt worden, seit 1990 weitere 140 – nur mit der exakten Dokumentation der Fundstellen tat man sich schwer. Das Gutachten von Professor Wolfgang Spyra strukturiert die Suche nun flächendeckend auf wissenschaftliche Weise.

Erste Entwarnung

Für diese Woche gab die Stadtverwaltung Oranienburg erst mal Entwarnung: Zwei von vier Bombenverdachtsstellen am Bahnhof hatten sich als harmlos herausgestellt. Am kommenden Montag sollen zwei weitere Verdachtspunkte am Bahnhof Oranienburg untersucht werden. Falls dort Blindgänger entdeckt würden, müsste am kommenden Mittwoch im Umkreis von einem Kilometer evakuiert werden. Betroffen wären dann rund 10.000 Menschen. IGOR MITCHNIK