: Kluge Steuern nichts für Bierdeckel
Die große Koalition aus Union und SPD will die Steuern für Unternehmen senken. Dabei konkurrieren verschiedene Modelle. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den vermeintlichen Zwang der Globalisierung akzeptieren. Aber geht es überhaupt gerechter?
VON NICOLA LIEBERT
Mehr Geld braucht der Staat – mehr Entlastung fordert die Wirtschaft. Steuern sind daher ein zentrales Thema im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD: „Die Bundesregierung setzt ihre Reformen des Steuerrechts fort“, heißt es dort. Ziel sei, „es zu vereinfachen und international wettbewerbsfähig zu gestalten.“ Aber in welche Richtung sollen die Reformen gehen? Darüber stritten sich Finanzexperten auf einem Kongress der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Mittwoch in Berlin.
Jedes Steuersystem muss sich in einem enger werdenden Rahmen behaupten: Es muss EU-konform sein, was den einzelnen Regierungen Lenkungsmöglichkeiten wie etwa eine Wegzugssteuer für abwanderungswillige Firmen nimmt. Und es muss dem Druck der Globalisierung standhalten, durch die das Kapital immer leichter dahin verschwinden kann, wo Staaten mit Dumpingsteuern locken.
„Wenn wir von Unternehmen überhaupt noch Steuern bekommen wollen, müssen wir das klug anstellen“, sagt Professor Clemens Fuest von der Uni Köln, Mitglied in der Kommission Steuergesetzbuch der Stiftung Marktwirtschaft. Und, in Anspielung auf die Forderung des CDU-Politikers Friedrich Merz: „Auf einen Bierdeckel wird das nicht passen.“
Die Stiftung Marktwirtschaft hat im September ein eigenes Steuerkonzept vorgelegt. Sie geht dabei davon aus, dass die Unternehmenssteuersätze in jedem Fall gesenkt werden müssen – von derzeit gut 38 Prozent inklusive Gewerbesteuern auf 25 bis 30 Prozent. Nur so habe der Standort Deutschland gegen Niedrigsteuerländer wie Litauen mit 15 Prozent oder die Slowakei mit 19 Prozent überhaupt noch eine Chance.
Allerdings sollen nur die Steuern auf einbehaltene Gewinne gesenkt werden, auf Mittel also, die das Unternehmen anschließend für Investitionen nutzen kann. Werden die Gewinne ausgeschüttet, könnte der Fiskus mehr verlangen. Insgesamt soll dann die Steuerbelastung etwa in der Höhe des Spitzensatzes der Einkommensteuer von derzeit 42 Prozent liegen.
Voraussetzung für das Funktionieren des Modells ist allerdings der gläserne Investor, damit das Finanzamt auch weiß, wann etwa Dividenden ausgezahlt werden. Für das Problem, wie man da eine Kapitalflucht in Länder mit funktionierendem Bankgeheimnis verhindert, hat Fuest keine praktische Lösung parat.
Anders geht deshalb der Sachverständigenrat vor. Die fünf Wirtschaftsweisen fordern in ihrem vor zwei Wochen vorgelegten Jahresbericht eine möglichst schnelle Reform der Unternehmenssteuern. Alle Kapitaleinkünfte, egal ob einbehalten oder ausgeschüttet, Unternehmensgewinne ebenso wie Zinserträge, sollen demnach mit einheitlich niedrigen 25 Prozent besteuert werden, die Gewerbesteuer soll wegfallen. Begründung: Das Kapital sei schließlich global mobil. Arbeitseinkommen dagegen können nach Ansicht der Weisen auch ruhig höher besteuert werden. Hier soll weiter der progressiv ansteigende Einkommensteuersatz gelten. Auf Kapitalerträge sollen Quellensteuern erhoben werden.
Beiden Modellen ist gemein, dass sie den internationalen Steuersenkungswettlauf als gegeben hinnehmen und darauf ihrerseits mit Steuersenkungen reagieren. „Warum eigentlich?“, fragt Rudolf Hickel, Finanzprofessor an der Uni Bremen. Gerade die Bundesrepublik sei in der EU ein mächtiges Mitglied und solle auf eine europaweite Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung hinwirken.
„Was wir brauchen, ist Regulierung auf EU-Ebene und nicht eine weitere Steuersenkung“, so Hickel, der an einem von Attac und der Gewerkschaft Ver.di erstellten Konzept für eine „solidarische Einfachsteuer“ mitgewirkt hat. Deren Grundprinzipien lauten: Die Besteuerung muss strikt nach der Leistungsfähigkeit erfolgen. Und diese bemisst sich nicht nur nach dem Einkommen oder den Gewinnen, sondern auch nach dem Vermögen. Sie muss progressiv sein, also höhere Einkommen stärker heranziehen. Und alle Einkommensarten müssen gleich behandelt werden, was eine Bevorzugung des Kapitals gegenüber der Arbeit ausschließt. Hauptargument: Ziel einer Reform müsse es sein, dass das Steuersystem nicht nur einfacher wird, sondern vor allem gerechter.