: Die Stufen zum Himmel
Touristen bewundern die Reisterrassen im philippinischen Hochland – und den Bergbauern geht der Reis aus. Die Unesco hat die Touristenattraktion zum Weltkulturerbe erklärt, doch nicht alle sehen dies als Segen für die Region
von HILJA MÜLLER
Die Sonnenstrahlen lösen allmählich den Morgendunst auf und enthüllen eine Postkartenszenerie. Wie von einem Titan in den Fels gehauen, steigen jadegrün schimmernde Reisterrassen vom Talgrund her steile Berghänge empor. Am Fuße der vertikal anmutenden Felder liegt der kleine Ort Fidelisan. Das einzige Geräusch, das die Stille in diesem abgelegenen Teil der philippinischen Kordilleren stört, ist das Krähen eines Hahns.
Doch das Idyll trügt: Fidelisan war über Monate Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen. Die Bewohner des Nachbardorfs Dalican hatten ein Bächlein auf die eigenen Reisfelder umgeleitet, dessen Quelle auf dem Gebiet von Fidelisan liegt. Mit Verhandlungen hielten sich die Nachfahren von Kopfjägern nicht auf, die entbrannte Fehde forderte mehrere Todesopfer. Erst die Entführung dreier Einwohner von Fidelisan zwang die Dorfältesten im April zum Kompromiss: Die Quelle wird nun von beiden Orten genutzt.
Der Streit ums Wasser war in erster Linie ein Krieg um Reis, dem Hauptnahrungsmittel der Igorot, wie sich die „Menschen der Berge“ im Norden der größten philippinischen Insel Luzon nennen. Ihre Vorfahren hatten vor 2.000 Jahren begonnen, den schroffen Zentralkordilleren Reisfelder abzutrotzen. Unter großen Mühen und mit unglaublichem Geschick schlugen sie die auch „Stufen zum Himmel“ genannten Terrassen in die bis zu 80 Prozent steilen Hänge und legten ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem an. Bis heute ist der Reisanbau Schwerstarbeit von Hand.
Diese einmalige Symbiose zwischen Landschaft und Landwirtschaft bezeichnen die Filipinos stolz als das „achte Weltwunder“. Die Unesco hat die Reisterrassen um das 1.200 Meter hoch gelegene Städtchen Banaue 1995 zum Weltkulturerbe erklärt und den Philippinen so eine Touristenattraktion beschert. Bis zu 50.000 Besucher machen sich pro Jahr auf die Zeitreise in die Vergangenheit. Und das, obgleich der schnellste Weg von der Hauptstadt Manila nach Banaue eine neunstündige holprige Fahrt im Nachtbus ist.
Doch die Tortur lohnt: „So was habe ich noch nie gesehen, total imposant, jeder Quadratmeter ist für Reisfelder genutzt“, schwärmt die Deutsche Lisa Hager. Aber das Leben ist für die Einheimischen beschwerlich. Viele Alte sind von der Arbeit auf den Feldern ganz krumm und bucklig. Es steht in keiner Werbebroschüre, doch die fünf Bergprovinzen Luzons gehören zu den ärmsten des Landes. Knapp 40 Prozent der 1,4 Millionen Bergbewohner verdienen nach offiziellen Angaben weniger als 250 US-Dollars – pro Jahr. Das größte Problem für die Angehörigen der Kalinga, Ifugao, Bontok und anderer Bergstämme ist indes nicht der Geld-, sondern der Reismangel. „Es ist kaum zu glauben: Wir haben die schönsten Reisterrassen der Welt, doch viele Bergdörfer hängen vom Reisimport aus dem Flachland ab“, weiß Cameron Odsey, Agarexperte für die Cordillera-Region.
Jahrhundertelang reichten die Ernten aus, „aber das empfindliche Ökosystem ist erheblich gestört, und die Reisterrassen sind vom Verfall bedroht.“ Die Ursachen sind vielfältig: Ein verheerendes Erdbeben vor 15 Jahren hat Flussläufe verändert und das Bewässerungssystem teilweise lahm gelegt. Ganze Berghänge wurden von Holzfirmen gerodet, aber auch von Bewohnern, die Holz zum Kochen und Heizen brauchen. Regenwasser strömt seither als verheerende Flut zu Tal, statt sich in Reservoirs zu sammeln.
„Schuld an der Misere ist aber auch der Tourismus“, weiß Odsey. Viele Urlauber forderten Komfort wie zu Hause, und so haben Strom, fließendes Warmwasser, Fernseher und gar Karaokebars Einzug in die Igorot-Dörfer gehalten. Was auf den ersten Blick wie der Segen der Zivilisation aussieht, hat schleichend das Sozialgefüge und die Traditionen der Reisbauern zerstört. „Die jungen Leute wollen nicht mehr auf den Feldern schuften, sondern lieber Touristen durch die Reisterrassen führen. Das ist leichter verdientes Geld“, klagt Odsey.
Zurück bleiben zerfallende Reisterrassen, die Alten und die Kinder. Und es sind viele Kinder, denn beim enormen Bevölkerungswachstum unterscheiden sich die Kordilleren nicht vom Rest der Philippinen. Auf den oft nur wenige Quadratmeter messenden Terrassen wächst nicht genug, um die vielen Reisschüsseln zu füllen. Zumal die Bergbauern nur einmal im Jahr Reis einbringen, während im Flachland drei Ernten möglich sind. „Das liegt am rauen Klima und den traditionellen Reissorten“, erklärt Charles Picpican. Moderne Züchtungen, die schneller wachsen und weniger Wasser brauchen, lehnten die Igorot ab. „Sie mögen den Geschmack nicht, besonders nicht für traditionellen Reiswein und Reiskuchen“, weiß der in den Kordilleren geborene Agrarspezialist.
Ein Drittel der Reisterrassen gilt als nicht mehr intakt, die Unesco hat das Weltkulturerbe daher 2001 als „akut gefährdet“ eingestuft. In Manila weiß man um den Niedergang des „achten Weltwunders“, doch das von Schulden und Wirtschaftskrise gebeutelte Land hat dringendere Probleme, so scheint es. Etwas Hilfe bringen langfristige Projekte, wie ein maßgeblich von der Asiatischen Entwicklungsbank gesponserter Hilfsplan, der gerade nach sieben Jahren zu Ende ging. Für insgesamt 41,4 Millionen US-Dollars wurden Bewässerungskanäle repariert, Wälder aufgeforstet und Straßen gebaut.
„Wir sind sehr dankbar dafür. Vorher lagen viele Felder brach, weil die Kanäle überall leckten. Schauen Sie jetzt!“, ruft Catherine Kibatay und zeigt auf die sattgrünen Reisterrassen rings um ihr Dörfchen Aguid. „Zu essen haben wir wieder genug, nun will ich mein Haus für Touristen ausbauen“, sagt die vierfache Mutter und sieht optimistisch in die Zukunft. Andere wollen lieber das Rad der Zeit zurückdrehen. „Nur wenn die jungen Igorot stolz auf ihr kulturelles Erbe sind und ihre Felder bestellen, haben die Terrassen eine Chance“, glaubt Teodoro Baguilat, Gouverneur der Ifugao-Provinz. Ein Stammesältester aus Bangaan fordert gar: „Macht alle Straßen dicht, dann kommt kein Reis aus dem Flachland mehr hierher und auch keine Touristen. Unsere Kinder kehren zurück auf die Felder. Das ist unsere einzige Chance zu überleben!“