: Zur Rettung der Welt
Die Klimakonferenz in Montreal wird neue Wege suchen müssen, damit der Kohlendioxidausstoß nicht weiter steigt
VON NICK REIMER
450 ppm. Das ist die Rettung der Welt. Zumindest, wenn man der Wissenschaft glaubt.
Um es vorwegzunehmen: Von Rettung ist die Menschheit meilenweit entfernt. 450 ppm ist jene Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre, die die Erde um „nur“ 2 Grad wärmer machen würde. Aktuell liegt die Konzentration bei 390 ppm. Jährlich kommen ein bis zwei Teile Kohlendioxid pro Million Teile Atmosphäre hinzu – 2 ppm.
Es dauert Dutzende Jahre, bis jetzt verbranntes Kohlendioxid in der Atmosphäre ankommt. Selbst bei konsequenter Umsetzung des Kioto-Protokolls würde also die Konzentration noch jahrelang steigen. Und von konsequenter Umsetzung kann keine Rede sein.
Um das zu ändern, reisen 10.000 Experten, Diplomaten, Politiker nach Montreal. Dort wird der kanadische Umweltminister Stéphane Dion am Montag die diesjährige UN-Klima-Konferenz eröffnen. Die Euphorie ist groß. Zum ersten Mal nämlich trifft sich die „Kioto-Welt“. Erst der Beitritt Russland in diesem Februar setzte das in der japanischen Stadt Kioto formulierte Klimaschutzprogramm in Kraft. Ziel: Industrieländer sollen ihren Ausstoß von Klimakillern bis 2012 gegenüber 1990 um 5,2 Prozent verringern.
Was in Kioto vor acht Jahren noch ganz fortschrittlich klang, ist im Jahr der Hurrikane längst überholt. Rasant steigt der Ausstoß von Klimagasen in Ländern wie China, Brasilien und Indien. Der „Kioto-Welt“ dämmert: Dieses Protokoll ist nicht genug.
Die Erderwärmung: Ein Drittel der Sonnenenergie, die uns erreicht, wird durch Wolken, Schnee und Eis wieder ins Weltall zurückgestrahlt. Kohlendioxid wirkt in der Atmosphäre jedoch wie eine Gasglocke – es hält Energie zurück. Die Atmosphäre wird somit aufgeheizt. Jahrmillionen ging das gut: Ohne Treibhauseffekt wäre die Erde heute bitterkalt. Durch die Industrialisierung aber wurde es zu viel: Wirtschaftswachstum heißt wachsender Energieverbrauch, der wachsende Kohlendioxidemission bedeutet, die wiederum zur himmlischen Verstopfung führt: Die Glocke aus CO2-Molekülen wird dichter, die Erde immer wärmer.
Die EU-Kommission glaubt, dass eine um 2 Grad wärmere Erde gerade noch beherrschbar ist. Aktuell hat sich die Atmosphäre um durchschnittlich 0,7 Grad aufgeheizt. Trockenheit am Amazonas, Sommerfluten in Europa– die Wissenschaft sagt nicht: Das liegt am aufgeheizten Klima. Die Wissenschaft sagt: Seit dem aufgeheizten Klima häufen sich die Extreme.
Das in Bonn ansässige Klimasekretariat – die Kioto-Verwaltungsbehörde – veröffentlichte gerade den Kontostand. Statt zu sparen, stieg bei vielen Kioto-Mitgliedern der Ausstoß: plus 42 Prozent in Spanien, plus 22 Prozent in Finnland, plus 17 Prozent in Österreich.
„Viele im Protokoll beschriebene Instrumente gibt es noch gar nicht“, sagt John Hay, Sprecher des UN-Klimasekretariats. Das liegt am Protokoll selbst: „Wirksame Verfahren und Mechanismen … werden von der ersten Konferenz nach In-Kraft-Treten des Protokolls beschlossen“, heißt es in Artikel 18. In der ersten Woche wird es auf der Klimakonferenz in Montreal deshalb viel um Kioto gehen.
„Die Montrealer Konferenz wird danach um ein Post-Kioto-Regime ringen“, so UN-Sprecher Hay. Das ist die Aufgabe: Mechanismen finden, die die Konzentration zum Ende des Jahrhunderts wieder unter 450 ppm zu drücken. Dass dies erst mal überschritten wird, ist allen mittlerweile klar. Hay: „Wir erwarten in der zweiten Woche mehr als 100 Umweltminister. Die werden sicherlich drastische Worte für eine drastische Situation finden“.
Am 9. Dezember geht die Konferenz mit der Montrealer Erklärung zu Ende. Dass die drastisch werden könnte, erwartet ernsthaft niemand.