piwik no script img

Archiv-Artikel

Linke kommt aus der Ecke

Hamburger Landesverbände von WASG und Linkspartei diskutieren Alternativen zum Senatskonzept „Wachsende Stadt“. Armutsbekämpfung und Bildung als Schwachstellen der CDU-Politik ausgemacht. Gedämpfte Hoffnung auf Systemwechsel

„Soziale Gegensätze in einer Stadt mindern auf Dauer die Lebensqualität“ „Die CDU macht erfolgreich Politik, denn sie kann sich alles erlauben“

von Gernot Knödler

Die außerparlamentarische Linke hat am Wochenende Wege gesucht, um politisch wieder in die Offensive zum kommen. Bei einer Tagung, zu der die Vorstände von WASG und Linkspartei eingeladen hatten, arbeitete sie sich am Senatskonzept „Wachsende Stadt“ ab. In der einleitenden Podiumsdiskussion wurden die Themen „Armut“ und „Bildung“ als Felder ausgemacht, wo stärkster Handlungsbedarf herrsche.

Wie schwierig die Lage aus Sicht der Linken derzeit ist, brachte Siggi Friess von der Gewerkschaft Ver.di auf den Punkt: „Die CDU macht zurzeit erfolgreich Politik, denn sie kann sich alles erlauben“, räumte sie ein. In der Tat ist es dem Senat gelungen, eine Aufbruch-Stimmung zu erzeugen, indem er das Leitbild Wachsende Stadt erfand. Dieser Coup lässt so manche Kritik an der Senatspolitik hilflos erscheinen und erlaubt es der Regierung, Fehler zu machen, für die Rot-Grün längst aus dem Amt gejagt worden wäre.

Auch das Publikum der Podiumsdiskussion verdammte die Senatspolitik durchaus nicht in Bausch und Bogen: Ob es nicht stimme, dass das Rathaus mit seinen Bemühungen ausgewählte Wirtschaftszweige zu fördern, besonders erfolgreich sei, fragte einer. Ob es nicht sinnvoll sei, dem Wegzug von Hamburgern ins Umland und damit der Zersiedlung zu wehren, fragte ein anderer Zuhörer.

Die Zersiedlung sei „nicht das größte Problem“, antwortete der Ökonom Rainer Volkmann von der ehemaligen Hamburger Uni für Wirtschaft und Politik. An den Clustern, also Netzen aus Bildungs-, Forschungs- und Produktionseinrichtungen, mit denen der Senat Wirtschaftsförderung betreibe, gebe es einiges auszusetzen: Wer ausgewählte Cluster fördere, könne anderes nicht unterstützen (siehe Kasten). Der Senat setze auf prestigeträchtige Felder, für die hoch qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht würden, die außerhalb der Stadt angeworben werden müssten, sagte Volkmann. Nur wenige der Hamburger Arbeitslosen könnten dort Jobs finden – ganz anders als in der lokalen Ökonomie der Stadtteile, für die aber kaum Fördergeld mehr übrig bleibe. Zugleich, so Volkmann, hätte er gern gewusst, wann die Ziele als erreicht gelten sollten und die Förderung auslaufen solle.

Klaus Bullan, der Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, vermutet, dass der Senat beim Thema „Bildung“ zu packen wäre. „Eine Stärkung des Standorts Hamburg ist nur möglich, wenn es für alle eine höhere Bildung gibt“, sagte Bullan. Zuvor hatte er die jüngsten Pisa-Ergebnisse referiert, an denen die Verbindung zwischen Armut und Bildungsarmut in Hamburg auffällig ist. Seine Forderung, die abschreckend wirkende Vorschul-Gebühr abzuschaffen, erntete spontanen Beifall.

Ein weiterer Schwachpunkt der CDU-Politik sei die sich in Hamburg immer stärker spreizende Schere zwischen Arm und Reich. „Soziale Gegensätze in einer Stadt wie Hamburg“, warnte Bullan, „mindern auf Dauer die Lebensqualität.“

Aus Sicht von Friess müsste das Thema „Armut“ ins Zentrum einer linken Politik gestellt werden. „Es geht um den Kampf um Teilhabe, gegen Armut und Ausgrenzung“, sagte sie unter starkem Applaus. Dabei dämpfte sie Hoffnungen auf einen Systemwechsel: Sie sei schon „froh über jedes Stück Realo-Politik“ – seien es Sozialarbeiter, die öffentlich Kritik üben, sei es der Boykott der Gaspreiserhöhungen oder der Arbeitskampf bei Lidl. Kay Seligmann von der Sozialpolitischen Opposition schob nach: „Unsere Parole muss lauten: Jeder soll genug zu fressen haben!“