Brillant choreografierte Schildkrötenformation

Als John Woo Anfang der Neunzigerjahre Hongkong verließ, um in Hollywood sein Glück zu versuchen, galt er vielen, und nicht zu Unrecht, als der größte Actionregisseur der Welt. Die Schwerelosigkeit des Martial-Arts-Kinos asiatischer Prägung verband er mit einem an westlichen Meisterregisseuren geschulten Pathos elegant choreografierter Gewalt, mit melancholischen Stimmungen, moralischen Komplizierungen, tollen Zeitlupen und jeder Menge weißer Tauben (Woo stammt aus christlichem Elternhaus). In Hongkong hatte er zwar vergleichsweise wenig Geld, dafür aber die komplette Kontrolle über seine Filme.

Die Werke, die Woo dann im Hollywood-Auftrag drehte, mit großen Budgets, aber begrenzter künstlerischer Freiheit, hatten nur stellenweise noch eine eigene Handschrift. „Im Körper des Feindes“ oder „Mission Impossible II“ waren zwar Qualitäts-, aber nur sehr bedingt noch Woo-Produkte. Der Verlust mithin ein doppelter. Das Hongkong-Kino schien Mitte der Neunziger am Ende: Wie weit die Freiheit noch reichen würde, war nach der Rückgabe der einstigen Kronkolonie an China unklar; die Zahl der gedrehten Filme nahm ebenso wie ihre Qualität ab. Die Ausgewanderten, neben John Woo etwa auch Tsui Hark, enttäuschten die Fans mit ihren in den USA gedrehten Filmen.

Inzwischen ist die Lage eine andere. Das Hongkong-Kino ist dabei, sich nicht zuletzt dank Johnnie Tos Produktionsfirma Milkyway wieder zu berappeln. Und John Woo wird nicht nur, wie kürzlich bekannt gegeben wurde, für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Löwen bei den nächsten Filmfestspielen in Venedig geehrt. Er ist auch nach Asien zurückgekehrt und hat dort, unter allerdings dramatisch gewandelten Verhältnissen, die Superproduktion „Red Cliff“ gedreht. Ein bei mangelnder Geschichtskenntnis etwas unübersichtliches Historien-Epos ganz ausdrücklich panchinesischer, wenn nicht sogar gesamtasiatischer Prägung. Es erzählt die Geschichte des Endes der Han-Dynastie, das heißt der Spaltung des Reichs und den Beginn der Herrschaft der „Drei Königreiche“ im China des 3. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung.

Zu befürchten war, dass Woo mit „Red Cliff“, der teuersten asiatischen Produktion aller Zeiten, ein ähnlich regimetreues Schlachtengemälde wie der inzwischen zum Staatskünstler mutierte Zhang Yimou mit „Hero“ vorlegen würde. Woo jedoch, der am Drehbuch mitschrieb, hält sich recht genau an die historischen Chroniken und setzt nicht auf ideologische Botschaften, sondern auf epischen Atem. In allerbester Woo-Manier fliegen nicht nur in Zeitlupenaufnahmen die Pfeile und spritzt ästhetisch stets stilisiert Blut. Atemberaubend sind die Schlachten selbst, darunter eine in brillant choreografierter Schildkrötenformation.

Nicht minder großartig und für den Rhythmus des wunderbar ein- und ausatmenden Films eminent wichtig sind retardierende Momente, in denen die Handlung beinahe stillsteht – oder jedenfalls vom geraden Pfad abweicht. Eindrücklich etwa jene Szene, in der Zhuge Liang (Takeshi Kaneshiro), wichtigster Berater des abtrünnigen Liu Bei (You Yong), als männliche Hebamme mit sicherem Handgriff ein Fohlen zur Welt bringt. Viele Minuten nimmt Woo sich Zeit nicht nur für dieses Ereignis am Rand.

Umso bedauerlicher, dass der Rhythmus in der in Deutschland auf DVD veröffentlichten „internationalen“ Version von „Red Cliff“ weitgehend zerstört ist. Von der ursprünglich viereinhalbstündigen Fassung wurden zwei Stunden gestrichen. Es fehlen zwar keine Schlachten, aber genau die Momente, in denen der Film die Handlung zum Schein stillstellt, ausatmet und entspannt. Wer Woos großartiges Schlachtengemälde nicht nur mit seinen epischen, sondern auch den lyrischen Momenten sehen will, muss sich deshalb die Doppel-DVD als Import aus England besorgen. EKKEHARD KNÖRER

■ John Woo: „Red Cliff“. Mit Tony Leung, Fengyi Zhang. China 2008. Die deutsche DVD gibt es ab 12 €