Die heimlichen Stadtpfleger von Lübeck

DIE INI (XVIII) Gegen Graffiti und Schmierereien kämpft Barbara Angermann von der Initiative Agil

Die Norddeutschen engagieren sich in Bürgerinitiativen gegen Verkehrsprojekte, für Tiere oder gegen Datenmissbrauch – mal laut und knallig, mal leise und beharrlich. Diese Serie stellt in loser Folge die Menschen hinter den Initiativen vor.

Es seien die Kleinigkeiten, um die sich die Bürger selbst kümmern müssten, sagt Barbara Angermann. Denn diese könne die öffentliche Hand mangels Zeit und Personal meist nicht angehen. Sie meint Ärgernisse wie flüchtig an die Wand gesprayte Sprüche wie „Fick die Polizei“. Gewiss, sie habe davon gehört, dass es einen Stadtpfleger in Lübeck gebe, der für derartige Graffitis an der Wand zuständig sei, sagt die 60-Jährige. „Der pflegt bestimmt irgendwas, aber gesehen hab’ ich den noch nie.“

Angermann ist eines von drei Vorstandsmitgliedern der Bürgerinitiative Agil, was ausgeschrieben bedeutet: Antigraffiti-Initiative Lübeck. Ihr Anliegen sind also Graffitis, im Fachjargon Tags genannt, an den Fassaden der Lübecker Altstadt, die seit 1987 Unesco-Weltkulturerbe ist. So verwundert es nicht, dass viele Touristen die Hansestadt besuchen. „Die Stadt braucht sie“, sagt Angermann, „deswegen müssen die Häuser in ihrem Zustand erhalten bleiben.“ Auf die Idee, eine Initiative zu gründen, kam vor zwei Jahren Angermanns Nachbarin. Sie wohnt in der Nähe des Günter Grass-Museums. Die Straße sei übel zugerichtet gewesen. „Wir beschlossen, die Häuser vom Dreck zu befreien.“

Angermanns Engagement hat auch berufliche Gründe: Die ehemalige Lehrerin und ihr Sohn besitzen seit 2006 in Lübeck eine Firma und insgesamt 30 Mietwohnungen. „Unsere Häuser sahen übel aus“, erinnert sich Angermann. „Aber nun ist alles weg. Und immer, wenn was da ist, nehmen wir einen Eimer Farbe und streichen drüber.“

Bis dato hat die Initiative viel erreicht, auf einem Flyer werben sie mit Vorher-Nachher-Bildern. Die Mitglieder sprechen oft mit der Polizei, suchen stets nach neuen „Schmierereien“, um sie flugs zu entfernen oder die Mieter im jeweiligen Gebäude darauf aufmerksam zu machen. „Wir klingeln dann an den Türen wie die Zeugen Jehovas.“ Auch mit Ex-Sprayern habe sich Angermann schon getroffen, sagt sie stolz, und deren Entschuldigungen angenommen. „Inzwischen wissen wir, dass die Sprayer am Wochenende anreisen, und dann geht’s aber los!“ Sprayen sei eine Gemeinschaftsangelegenheit und Reviermarkierung. Kaum hat jemand sein Graffiti an die Wand gesetzt, sagt Angermann, müsse man handeln, sonst sei in Nullkommanix alles voll. „Es ist daher manchmal eine Sisyphus-Arbeit.“

Der Initiative geht es auch um Prävention, sagt Angermann. Die Mitglieder besuchen Schulen und halten Vorträge. Da sagen sie den Schülern sogar, dass sie ruhig sprayen könnten; aber nur, wenn sie vorher fragten. „Die wollen doch auch nicht, dass man ihre Lederjacke ansprüht.“

Dennoch könne Graffiti auch Kunst sein, sagt Angermann. Die Initiative überlege, in Zukunft Projekte mit Schulklassen zu starten, um die grauen Elektrokästen der Stadt mit Farbe zu sprenkeln. „Was wir anprangern, ist dieses komische Krickelkrackel“, sagt Angermann. „Das ist Abfall, da streichen wir drüber.“ Der Stadtpfleger komme schließlich nicht dazu.  AMA