: Was haben wir geweint
PRENZLAUER BERG I Wir wohnen hier, sind aber anders als alles, was wir in den letzten Jahren über die Gegend zu lesen bekamen. Darum freuen wir uns über jeden alten Club, der wiederkehrt. Der Versuch einer Verteidigung
VON SUSANNE MESSMER
Meistens kommen Leute, die uns zum ersten Mal in der relativ neuen Wohnung in Prenzlauer Berg besuchen, mit einem großen Seufzer durch die Wohnungstür. „Bei euch sieht es ja noch aus wie in den Neunzigern!“, sagen sie, wenn sie die Jacken ausziehen – und sagen es meist noch einmal, wenn sie auf unseren Balkon treten. Denn nicht nur, dass wir in einem der beiden letzten Häuser in unserer Straße wohnen, deren Fassade bröselt. Wir blicken auch noch auf das andere der beiden letzten Häuser, deren Fassade bröselt. „Ach, die Neunziger“, sagen unsere Freunde, und ihre Augen strahlen sehr melancholisch.
Dabei muss man Folgendes wissen: Unsere Umzugsgeschichte hat weite Kreise gezogen. Seit Monaten werden wir auf der Straße auf sie angesprochen. Denn sie geht so: Vor etwa zehn Jahren verließen wir die Wohnung mit dem Schimmelpilz und dem Kachelofen in Prenzlauer Berg, die wir seit den Neunzigern bewohnt hatten: akutes Asthma. Wir zogen in eine Wohnung nebenan, voll saniert, aber mit fieser Staffelmiete, blieben dort länger als geplant. Als die Miete auf 1.000 Euro zuging, beschlossen wir, das Feld zu räumen.
Dieselbe Straßenseite
Nach neun Monaten Pankow kehrten wir reumütig zurück, zogen in dieselbe Straße, auf dieselbe Straßenseite, in eine Wohnung gleicher Größe, gleichen Zuschnitts und gleicher Miete. Vermutlich werden wir nun alt in Prenzlauer Berg – und all die Freunde um uns herum, die wir so vermisst haben und die so ganz anders sind als alles, was man in den letzten Jahren über Prenzlauer Berg zu lesen bekam, werden mit uns zusammen alt.
Denn ja, auch wir und unsere Freunde haben dazu beigetragen, dass die Urbevölkerung in Prenzlauer Berg weitgehend verschwunden ist. Ja, auch wir sind schuld, dass Prenzlauer Berg zu teuer wurde. Die Sache ist nur die: Wir kamen in den Neunzigern, weil wir irgendwas mit Kunst machen wollten. Wir hatten kein Geld, machten Bars auf, Bands und kleine Verlage – und viele von uns machen immer noch Bars, Bands und kleine Verlage und haben nach wie vor kein Geld. Oft geben wir die erste Hälfte unseres monatlichen Einkommens für die Miete aus – und die zweite für Restaurantbesuche. Nur die allerwenigsten gehen regelmäßig zur Bank oder hatten je mit einem Immobilienmakler zu tun.
Sie hängt uns gründlich zum Hals heraus, diese immer gleiche Schelte auf unseren Kiez, auf die schwäbischen Hausfrauen und ihre Werbergatten, die später kamen und sicher auch eine Rolle hier spielen – aber nicht die einzige. Wir können sie nicht mehr hören, die biologistischen Beschimpfungen, wir seien zu alt und zu verkopft für kleine Kinder, Stichwort Pregnancy Hill. Denn viele von uns bekamen zwanzig Jahre lang keine Kinder, weil die Existenzangst größer war. Kurz vor Torschluss bekamen wir dann doch noch schnell eins, denn keine Kinder sind oft auch keine Lösung. Heute sitzen wir vor allem deshalb mit unserem Nachwuchs in Cafés, weil wir nicht nach Hause wollen. Und weil wir uns keine Babysitter leisten können.
Die vielen Biosupermärkte und Spielzeugläden in unserem Kiez gehen uns gewaltig auf die Nerven. Wir freuen uns, wenn hin und wieder ein zeitungsfreies Bierlokal bleibt – oder ein cooles Café aufmacht, wo man einfach in Ruhe arbeiten kann, und sei es auch betrieben von jungen Australiern, die die dunkelsten Platten der britischen Gruppe The Cure aus den Jahren 1980 bis 1982 hoch und runter laufen lassen, als hätte sie nie jemand vorher gehört. Wir besuchen noch immer die alten Kneipen der letzten Ossis, die daran erinnern, wie es hier vor der Wende war: dass es sich an keinem anderen Ort der DDR besser träumen und dichten ließ als hier. Denn wir fanden, dass es sich an keinem anderen Ort der BRD besser träumen und dichten ließ als Anfang der Neunziger in Prenzlauer Berg.
Als vor wenigen Jahren auf einmal das große Clubsterben einsetzte und Schlag auf Schlag wegen Lärmbeschwerden ruhebedürftiger Hausfrauen und Werber legendäre Läden wie Knaack, Magnet, Icon und Club der Republik zumachten oder umzogen: Was haben wir da geweint. Kürzlich meinte eine Freundin, die Clubs kämen spätestens zurück, wenn unsere Kinder anfingen auszugehen. Jetzt macht schon in diesem Jahr der Klub der Republik wieder auf – und 2014 der Knaack. Wir werden ganz sicher kommen.
Bericht Seite 23