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Archiv-Artikel

Luftikus mit Bodenhaftung

Jonny Markschiess van Trix ist ein wandelndes Artistenlexikon: Varieté, Schaustellerei, Zirkus – er sammelt alles darüber. Selbst Akrobat zu werden war ihm nicht vergönnt. Heute wird er 85 Jahre alt

Er galt als einer, den man machen ließ, obwohl er nicht in der Partei war

von Waltraud Schwab

„Jonny, wenn du Geburtstag hast“, singt Marlene Dietrich. Heute ist es so weit: Jonny Markschiess van Trix wird 85 Jahre alt. Eigentlich heißt er Julius, genau wie sein Vater. Da der kurz nach Julius’ Geburt verschwand, nannte ihn seine Mutter Jonny – „nach dem Lied der Dietrich“.

Natürlich ist die Erwähnung eines Namens bei Markschiess van Trix wie selbstverständlich der Einstieg in eine Geschichte, deren Kontext sich erst später erschließt. Das liegt daran, dass der Jubilar mittlerweile ein erlebnisreiches Alter hat und noch viel loswerden will. „Kennen Sie Mischa Spoliansky“, fragt er, „von den Comedian Harmonists?“ Den habe er nach der Nazizeit in Hamburg wieder aufgespürt. „Der hat doch die Dietrich entdeckt.“ So gibt eins das andere. Wer mit dem quirligen alten Herrn spricht, der sich auf seine Krücke lehnt, muss auf gedankliche Klimmzüge gefasst sein.

Die 20er-Jahre, in die Markschiess van Trix hineingeboren wurde, haben ihm nicht nur den Namen verpasst, sondern ihn auch vom Wesen her geprägt. „Ich war früh selbstständig“, sagt er. Seine Mutter musste sich nach der Decke strecken. Ihre beste Freundin allerdings war Jongleurin. Ein Onkel war Filmvorführer. Seine 15 Jahre ältere Schwester, deren Vater unbekannt ist, aber in den höheren Berliner Kreisen zu suchen sei, war später im Widerstand gegen die Nazis. Solche Dinge hätten ihn beeinflusst.

Sein prägendstes Erlebnis allerdings: Als er elf Jahre alt war, begegnete er in Berlin Charlie Chaplin. Er zieht, was er öfters macht, wie ein Taschenspieler eine Postkarte aus seiner Jackentasche. Ein koloriertes Foto von 1931. Darauf ist der Mime, seinen Hut hat er in der Hand. Neben ihm stehe er, Jonny, in kurzen Hosen über langen Strümpfen im Berliner Schnee.

Die Treffen mit all den Menschen und die Offenheit damals, die hätten ihm die Erfahrung und das Lebensgefühl gebracht. „Früher, da gab es doch überall Jahrmarkt. Jede Woche ’ne Weltmeisterschaft.“ Die Berliner Luft, gern auch als Berliner Lust buchstabiert, die er in den Hinterhöfen und Straßen schnupperte, habe ihn nie losgelassen. Er hat sie durch den Krieg mit fünf Jahren Wehrmacht und die DDR bis ins wiedervereinigte Deutschland geschleppt.

Jonny Markschiess van Trix ist vernarrt ins Artistengewerbe. Er wäre selbst gerne Akrobat geworden. Aber wegen der ungeklärten Herkunft seiner Schwester bekam er keinen Ariernachweis. Damit war ihm, so erklärt er es, der Weg versperrt, während der Nazizeit eine Artistenausbildung zu machen. Nach dem Krieg hat er, bereits 25 Jahre alt, versucht, es nachzuholen. „Van Trix“ ist sein Künstlername. Das Glück dauerte nicht lang. Kaum in der Luft, hatte er einen Unfall.

Der Unfall zwang ihn hinter die Manege. Von da an wurde Markschiess van Trix der gute Geist der leichten Muse. Er managte ein Hochseiltruppe, er arbeitete im alten Friedrichstadtpalast und später auch im neuen. Außerdem war er Cheforganisator der Berliner Festspiele in Ostberlin. Er galt als hartnäckig, ungebändigt, als einer, den man machen ließ, obwohl er nicht in der Partei war, als einer, bei dem aufgestöhnt wurde, sobald er gesichtet ward. „Was willst du denn schon wieder hier?“, habe Helene Weigel, Intendantin des Berliner Ensembles, etwa gemault, wenn sie ihn sah. „Du, Helene, ich brauch das Theater für die Festspiele, hab ich gesagt. Ich meine, kennen Sie Helene?“ Gut Kirschen essen soll mit ihr nicht gewesen sein. „Ich hab mich Dinge getraut, die andere sich nicht trauten.“

Seine allergrößte Stärke allerdings: Er ist ein wandelndes Artistenlexikon. Nennen Sie einen Namen – er weiß die Geschichte dazu. Seit 1945 sammelt Markschiess van Trix alles, was zu Zirkus, Kabarett, Varieté und der Schaustellerei gehört. Ein Artistenmuseum sollte daraus entstehen. Fast wäre es ihm gelungen, noch zu DDR-Zeiten seinen Traum erfüllt zu sehen. Einen Teil der Sammlung konnte er an das Märkische Museum verkaufen. Er selbst baute im Museum die Abteilung, die er „documenta artistica“ nannte, auf. Den Besucherinnen und Besuchern sollte das Herz aufgehen angesichts der Plakate, Postkarten, Souvenirs, Klamotten der Stars, deren Handwerkszeug und Vermächtnissen. Nach der Wende ging das Märkische Museum in die Stiftung Stadtmuseum ein. Die „documenta artistica“ verschwand in den Archiven. Weltweit gebe es kein umfassendes Artistenmuseum, bedauert er.

Ein Kind von Traurigkeit ist der Kümmerer jedoch nicht. Er hält sich ans Machbare, verteilt Flyer für den Förderverein der Berliner Artistenschule in Pankow, die er in den 50ern mitinitiiert habe. Damals gab es in der DDR den Staatszirkus, der die an der Schule ausgebildeten Künstler übernahm. Heute müssen sich diese als Selbstständige allein nach der Decke strecken.

Aufmerksam verfolgt er die Darbietungen der Schülerinnen und Schüler an deren Tag der offenen Tür, der am Wochenende stattfand. Eine junge Frau an der frei stehenden Leiter beeindruckt ihn. Nicht nur die eigenen Bewegungen, auch die der Leiter müssten dabei ständig ausbalanciert werden, erklärt er. Den jungen Mann am Trapez findet er ebenfalls beachtlich. „Gelenkig wie eine Frau.“ Aus dieser Diskrepanz müsse der was machen. Als Frau auftreten und im Lauf der Show zum Mann werden, damit die Darbietung nicht langweilig werde. Sein Kennerauge ist gnadenlos.

Gefragt, warum er sein ganzes Leben der Artisterei widmet, entrüstet er sich: „Hören Sie, das ist die älteste Unterhaltungsform, die es gibt.“ Er zieht noch eine Postkarte aus der Jackentasche. Darauf ist er selbst; in seiner Hand hält er die Replik einer dreitausend Jahre alten chinesischen Figur. „So alt ist die Jonglage“, meint er. Auf dem Kopf der Figur ist ein Ball, auf dem hochgehaltenen Oberschenkel ist ein zweiter. „Das sind Balancen“, erläutert er anerkennend. Dann fügt er hinzu: „Etwas, was die Leute schon so lange zum Staunen bringt, ist nicht banal.“