: Fingerlicking freie Stellen
Vorschläge zu einem herrlich verspielten Leben (1): König Hartz IV.
Der effektvolle Dreh unseres Spiels ist wie so oft zugleich ein sehr simpler: Wir stellen die tatsächlichen Verhältnisse einfach auf den Kopf. Schließlich soll es ja Spaß machen.
Nehmen wir das schier unüberschaubare Angebot an vakanten Stellen in Zeitungen, Magazinen und Suchmaschinen. Da jeder von uns ständig irgendeiner Behörde irgendwelche Arbeitsbemühungen nachzuweisen hat und uns das immer noch weit verbreitete Herumziehen von Geschäft zu Geschäft zu diesem Zweck viel zu anstrengend ist, scannen wir die einschlägigen elektronischen Jobbörsen oder lassen uns die Angebote einfach zumailen. Der Trick besteht darin, den heißen Scheiß, mit dem wir für gewöhnlich die Ämter versorgen, für unsere eigene Sache zu verwenden. Keine Ahnung, ob das legal ist.
Lasst uns die Karten mischen, ist so ein Spruch, mit dem der Spaß beginnen kann, oder: Gib mal noch ein Bier! Und los geht’s.
Uwe kommt mit der Liste, auf der es vor fingerlicking freien Stellen aus allen Rubriken, vom Arschabputzer bis zum Textchef bei der Zeit, nur so sprießt und wimmelt. Der Moment, da sich kaum einer von uns ein Händereiben oder ein lüsternes „Geil, geil“ verkneifen kann.
Einen weiteren Moment lang starren alle wie benommen auf die Liste mit den Anzeigen. Einen heiligen Moment lang. Dann beginnt das rituelle Augenverbinden unter großem Gejohle. Natürlich werden nur dem die Augen verbunden, der an der Reihe ist, der die höchste Zahl gewürfelt, das längste Hölzchen gezogen hat, was auch immer.
Cornelius ist dran, Cornelius ist die blinde Kuh. Und alle beneiden ihn darum, weil er die ganze Liste, alle leckeren Vakanzen für sich, jungfräulich zu seinen Füßen bzw. unter seinem Zeigefinger liegen hat, der augenblicklich einige Zentimeter über der Liste auf- und abzufahren beginnt. Rauf und runter geht der Finger, und wir anderen werden fast wahnsinnig dabei, wie er das Papier überfliegt und es dabei bald zu berühren, bald wie an unsichtbaren Fäden mit sich in die Höhe zu heben scheint. Ina hat unterdessen langsam bis neun gezählt. Das steigert die Spannung bis ins Unerträgliche. Bei zehn, so will es die Regel, wird der Finger auf das Papier niedergehen und unter den strengen Augen der anderen unbeweglich dort verharren, bis die Binde entfernt ist und das Angebot unter dem Zeigefinger feierlich mitgeteilt wird:
Kreative Familie sucht gründliche Haushaltshilfe …
Das ist hart, aber gerecht. Unser Messie Cornelius wird sich anstrengen müssen. Doch schließlich winkt eine fette Prämie – ein Kasten Bio-Prosecco vom Feinsten. Da lassen wir uns nicht lumpen. Immerhin ist ein Risiko dabei, besteht immer auch die Gefahr eines Langzeit- oder Knebelvertrags, was allen möglichen Ärger nach sich ziehen kann, Anwaltskosten und weiß der Geier was. Denn natürlich gilt die nächste Sorge nach dem Zuschlag – das sehen wir ganz realistisch – dem Wiedererlangen der lieb gewonnenen Freiheit, nichts weniger also als der Voraussetzung für unser herrlich verspieltes Leben.
Das Fingerspiel jedenfalls macht dann die Runde. Anspruch auf einen Joker hat keiner, außer das Angebot ist deutlich genderspezifisch oder mit ähnlich unabänderlichen Merkmalen verknüpft. Ina trifft es diesmal am schlimmsten, als hoffnungsvolle Bewerberin für ein „sexy Sommercamp“ auf Mallorca, Uwe wird für den Webdesigner bei einer gefragten Agentur jede Menge Konkurrenz ausschalten müssen, und ich werde mein Glück als Kitakoch in Lichtenberg probieren.
Mit den Angeboten in der Tasche ziehen wir los. Jeder wird versuchen, „seine“ Stelle so schnell wie möglich zu besetzen, denn auf Schnelligkeit kommt es an. Wer den Job als Erster nach Hause holt, ist Sieger, König Hartz IV., legitimer Herrscher über das Heer der Arbeitslosen, und hat die Hochachtung von uns anderen. Bis zur nächsten Runde. SASCHA JOSUWEIT