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Archiv-Artikel

Versponnen

AUSSTELLUNG Gespinste, Stickereien und auch mal Fadenscheiniges – im Deutschen Künstlerbund sucht man den Faden in der Kunst

Wenn Körper ins Spiel kommen, nehmen die Verstrickungen Fahrt auf

VON JENNI ZYLKA

Langes Fädchen, kreatives Mädchen, sozusagen: Die Bodyart-Künstlerin Annegret Soltau umspann im Rahmen ihrer Performance „Körper-Zeichnung“ im Januar 1976 eine Frau mit mehreren Rollen Garn. In dem schwarz-weißen Video, das im Rahmen der Ausstellung „Faden – Von der Komplexität des Unscheinbaren“ im Projektraum des Deutschen Künstlerbundes aufgebaut ist, sieht man, wie der Kopf der Frau mehr und mehr hinter zartem Faden-Bondage verschwindet. Das Gesicht erscheint durch die Fäden grotesk eingeschnitten, die Haare scheinen in das Gespinst überzugehen, immer wieder kommen Hände ins Bild, die weiterwickeln. Nach endlosen Minuten beginnt das lebendige Kunstobjekt, sich die Fäden wieder vom Gesicht zu reißen, verheddert sich, zerrt zunehmend panisch an sich herum, ähnelt durch die Fadenwolken um das Gesicht herum gar einem Haarmenschen. Am Ende hat es die Spinnenbeute doch noch geschafft, ihrem Schicksal zu entgehen.

Frauen und Fäden sind eben schon ewig miteinander verwoben. Abgesehen von den vielen Phrasen, in denen sich der Faden, den man verlieren, als Maus abbeißen oder in Rot besonders gut erkennen kann, untrennbar mit der Sprache vernäht zeigt, scheint er auch den kleinsten gemeinsamen Nenner der Kunst zu bilden: schließlich besteht sogar die Leinwand selbst aus Textil. Im Deutschen Künstlerbund sind 20 „Fadenarbeiten“ ausgestellt, nur sechs davon entstammen männlicher Künstlerhand – das ist natürlich kein Zufall.

Eine Materialuntersuchung

„Wo zwischen feministischem Statement, Materialbezogenheit und bedeutungsneutraler Verwendung steht das Material heute?“, fragen die Kuratorinnen und scheuen sich nicht, auch einigermaßen, nun ja, fadenscheinige Werke auszustellen, bei denen die Größe, oder besser Kürze des Materials etwas die Durchschlagskraft behindert: Einen zum Kreis geknoteten dünnen Strick an einem Nagel an der Wand als Kunstwerk aufzunehmen, und nicht einfach zu denken, dass nur der von Petterson und Findus eben entwendete Hammer fehlt, erfordert schon viel wohlmeinender Fantasie.

Aber immer, wenn auf irgendeine Art und Weise Körper ins Spiel kommen, seien es lebendige, gemalte oder nur zu erahnende, nehmen die Verstrickungen an Fahrt auf.

Das ist bei dem Soltau-Video so und auch in Chiharu Shiotas 2002 in Luzern praktizierter Performance „During Sleep“, die ebenfalls als Film zu sehen ist: In einem großen Raum stehen weiß bezogene Betten, die von schwarzen Fäden umhäkelt, verwoben und mit den Wänden verbunden sind. Nach einigen Detail-Standbildern liegen plötzlich schlafende Menschen in der bedrohlichen Mischung aus Dornröschen- und Modern-Graphic-Novel-Umgebung, und die AusstellungsbesucherInnen schieben sich vorsichtig um die sleeping beauties herum.

Die ebenfalls im Künstlerbund zu sehenden Carola Willbrand hat 2009 mit Hilfe von Kabelbindern einen Flickenteppich oder Quilt aus Stoffmustern gebastelt und die quadratischen Textilfliesen mit Sinnsprüchen bestickt, „Vor den Bildern sterben die Wörter“ liest man in ernster, genähter Schreibschrift, „Bewusstsein aus kontrolliertem Anbau“ steht auf einer anderen Fliese. Am schönsten passt aber der mit altdeutschem Z geschriebene Satz „Der Zierbommel der Lebensromantik“ zum Thema, der über einen ebenfalls gestickten Frauenkopf mit Dutt genäht wurde – die Nähe zum Besticktes-Küchenhandtuch-Sinnspruch ist gewollt und unübersehbar.

Überhaupt wirken die Formen und Figuren aus Fäden in vielen der Kunstwerke durch das Nähen oder Sticken fließend, man kann – wenn man eine Nadel führt – eben nicht mal so eben aufhören und neu ansetzen, wie das mit dem landläufigen Pinsel oder Skulpturenspachtel möglich ist.

So schafft es die Ausstellung tatsächlich in vielen Werken, den Faden als kleinsten Kunstbaustein zu etablieren. Und wem das zu wenig ist, der kann sich ja einfach selbst ein paar sinnfälligere Bedeutungen stricken.

■ Noch bis 5. April, Di.–Fr. 14–18 Uhr, Deutscher Künstlerbund, Projektraum, Rosenthaler Str. 11