„Der Babyalltag ist oft ganz anders als gedacht“

NACHWUCHS Sara Rochol und Lisa Sperling betreiben in Nord-Neukölln den Eltern-Kind-Laden „Kurz&Klein“. Über ihre eigene Mutterschaft wurden sie zu Expertinnen in Sachen Kleinkinder. Sie bieten nicht nur einen Ort, an dem sich Eltern austauschen können. Sondern auch Tipps, wie man den Nachwuchs stundenlang tragen kann – oder wie man Babys ohne Windeln großzieht

■ Sara Rochol ist aufgewachsen in Sprockhövel in Nordrhein-Westfalen und hat eine Ausbildung zur Mediengestalterin sowie eine Schulung als Tagesmutter gemacht. Die 33-jährige Alleinerziehende hat zwei Söhne im Alter von 7 und 2 Jahren und lebt seit 2004 in Berlin.

■ Lisa Sperling ist geboren in Steglitz und aufgewachsen in Schöneberg und Zehlendorf. Sie hat eine 5-jährige Tochter. Die 31-Jährige hat verschiedene Fächer studiert (Medizin, Philosophie, Geschichte, Literatur- und Kulturwissenschaften, Stadtentwicklung) und alles abgebrochen. Dann hat sie die Ausbildung zur Stillberaterin und zur Trageberaterin gemacht.

■ Das „Kurz&Klein“ ist ein Eltern-Kind-Treff am Reuterplatz in Nord-Neukölln. Neben dem Krabbelcafé gibt es viele Kurse für Kinder und Eltern sowie einen Laden mit ökologischen Produkten, wo man bei Bedarf auch beraten wird.

Infos: www.kurz-klein.de

INTERVIEW SUSANNE MEMARNIA
FOTOS SONJA TRABANDT

taz: Treffen sich drei Mütter im Kurz&Klein und reden eine Stunde lang ungestört, so wie wir jetzt … Ein guter Witz?

Sara Rochol: Kein Witz. Man kann sich hier im Laden wunderbar beim Gebrabbel von 20 Kleinkindern unterhalten. Es gibt Eltern, die sich hier als Pärchen verabreden, um miteinander zu reden.

Lisa Sperling: Du kannst dich hier schon unterhalten, aber Ruhe findest du natürlich nicht.

Wer von Ihnen hatte denn die Idee, einen Eltern-Kind-Treff zu eröffnen?

Sara Rochol: Das war so eine alte Vision von mir, die ich in meiner Elternzeit endlich verwirklichen konnte. Allerdings war das erst noch nicht das Kurz&Klein, sondern hieß zunächst nur „Laden“, weil überhaupt nicht klar war, wo das hinführen sollte. Im Dezember 2006 war Leo, mein erstes Kind, zehn Monate alt, und ich habe als private Tagesmutter das zehn Wochen alte Kind einer Freundin betreut. Mit dem Geld, das ich dabei verdiente, konnte ich mir einen Raum anmieten. Da saß ich dann mit den beiden kleinen Kindern und habe die Krabbeldecke geöffnet – mit dem Wunsch, dass mehr Mütter mit Kindern kommen und irgendwas daraus entsteht.

Also hat Ihre persönliche Situation den Ausschlag gegeben?

Sara Rochol: Ich wollte immer schon mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, einen Raum haben und ein kreatives Programm für sie bieten: Kino, basteln, fotografieren. Nur hatte ich dann ein Baby, und so wurde es ein Raum für Babys.

Frau Sperling, wie sind Sie dann dazu gekommen?

Lisa Sperling: Das war im August 2008, mein Kind war damals ein Jahr alt und ich hatte mich viel mit Tragetechniken beschäftigt, hatte dazu Fortbildungen besucht. Zusammen mit einer befreundeten Trageberaterin habe ich die offene Kursreihe „Tragen im Park“ ins Leben gerufen. Als es kalt wurde, suchten wir Räumlichkeiten, um das Angebot weiterzuentwickeln. Da bin ich auf Sara gestoßen – und es war Liebe auf den ersten Blick (beide lachen). Na ja, jedenfalls hat es sofort gezündet, ich weiß gar nicht, wieso.

Sara Rochol: Es war ein magischer Moment.

Inwiefern?

Sara Rochol: Ich stand vor der Entscheidung: Entweder ich mache das ganz oder gar nicht. Und es war klar, dass mein Laden allein mit der offenen Krabbeldecke und in den Räumen nicht funktioniert. Dann stand plötzlich Lisa da, mit diesem Input als Trageberaterin und Stillberaterin, nebst ihrer Persönlichkeit. Ich dachte: wow, ja. Sie hat dann auch kurz danach die Räumlichkeiten hier am Reuterplatz gefunden.

Und Sie, Frau Sperling, haben sich ins Kurz&Klein als Still- und Trageberaterin eingebracht?

Lisa Sperling: Nicht ganz. Ich habe die Stillberaterausbildung zwar gemacht, aber nicht abgeschlossen, und ich möchte das auch nicht ausüben.

Warum?

Lisa Sperling: Mein Ding ist das Tragen, das hat mich besonders interessiert. Und da bin ich so gut drin, dass ich inzwischen sogar Fortbildungen gebe für Hebammen und anderes Fachpersonal. Und Stillberatung macht unsere Mitarbeiterin Susan super, das soll die machen.

Worauf kommt es bei der Trageberatung an?

Lisa Sperling: Auf Medizinisches, auf die Technik vor allem. Das habe ich in meiner Ausbildung bei einer der führenden deutschen Trageschulen in Dresden gelernt. Aber mir geht es vor allem darum herauszufinden, was die Eltern wirklich brauchen. So möchten 90 Prozent der Leute, die hierherkommen, eine Manduca-Trage haben, weil sie davon schon gehört haben. Sie wissen oft nicht, dass es auch Alternativen gibt, gerade für kleine Babys.

Frau Rochol, was haben Sie gelernt?

Sara Rochol: Ich habe eine Ausbildung zur Mediengestalterin gemacht und bin deswegen nach Berlin gekommen. Ich war der Überzeugung, dass ich in Potsdam Design studieren würde. Das klappte nicht sofort, ich wurde schwanger. Ich habe dann, nachdem ich schon sehr viel privat Kinder betreut habe, eine Ausbildung zur Tagesmutter gemacht.

Die werden ja gerade händeringend gesucht, man sieht in ganz Berlin die Werbeplakate.

Sara Rochol: Ja genau. Die vom Jugendamt rufen auch ab und zu an und fragen, wie es aussieht. Ich überlege immer wieder, wie man die Kinderbetreuung als Tagesmutter im Kurz&Klein integrieren könnte. Das wäre toll, aber es ist nicht finanzierbar und nicht in der Form zu machen, wie Betreuung von Kindern unter zwei Jahren angeboten werden sollte.

Nämlich?

Sara Rochol: Eltern sollten wählen können, ob sie ihr Kind anfangs nur tage- oder stundenweise betreuen lassen wollen, das muss flexibel sein. Und genauso sollte man auch als Anbieter flexibel sein können. Aber das ist mit dem Gutscheinsystem nicht möglich: Wenn Eltern einen Vollzeitgutschein haben, muss die Betreuung auch ein Vollzeitangebot sein. Ich müsste also täglich acht Stunden hier anbieten. Das ist aber nicht die Form von Betreuung, die zu uns und ins Kurz&Klein passt.

Lisa Sperling: Sara betreut hier regelmäßig drei Kinder, das ist super. Da hat man das Gefühl, jeder bekommt genug Aufmerksamkeit.

Ist der Laden auch ein bisschen für Ihre Kinder entstanden?

Lisa Sperling: Sie meinen, dass wir die Kinder mit hierher bringen können?

Na ja, man könnte meinen, das geht hier eher als zum Beispiel bei einem Friseurladen.

Lisa Sperling: Nee, überhaupt nicht. Das ging mit Saras erstem Kind und dem Betreuungskind. Weil damals klar war, das ist der Job, diese Kinder zu betreuen. Aber jetzt ist es wie in jedem anderen Job: Ich arbeite halt. Klar kann ich mein Kind im Notfall mal mitnehmen, aber das liegt eher daran, dass ich mein eigener Chef bin. Aber wenn dein Kind hier ist, bist du niemals voll arbeitsfähig.

Sara Rochol: Ja, das Maximale war die Geschichte am Anfang: Hier wird ein Kind betreut, und ihr könnt dabei sein. Aber als dann aus dieser ersten Krabbeldecke der Eltern-Kind-Treff im Kurz&Klein wurde, hatten wir inzwischen einen anderen Status mit dem ganzen Drumherum, den Kursen, dem Verkauf, der Beratung. Da brauchte man auch jemanden, der den Treff leitet. Ich denke, Arbeit und Kind sind nicht zu vereinbaren. Auch hier nicht.

Aber wie machen Sie das dann, gerade als Alleinerziehende?

Sara Rochol: Man wird sehr effizient, bei der Arbeit und auch bei der Tagesplanung. Aber wenn ich abends mit Kindern und Einkäufen nach Hause komme, nach acht Stunden Arbeit und Elterndienst in der Schule, dann noch Kohlen holen gehe im Keller und Abendessen mache, gönne ich mir auch, mit den Kindern um acht Uhr ins Bett zu gehen.

Sie bieten ja auch Kurse für Babys und Kleinkinder an: das Prager Eltern-Kind-Programm Pekip, Babymassage, Kindertanz. Braucht ein Kind so etwas – oder ist das eher für Eltern?

Lisa Sperling: Viele Kurse verkaufen sich ja leider vor allem über das Label Frühförderung. Gerade Pekip ist dafür bekannt. Aber das Konzept der Kurse ist schon so angelegt, dass beide davon profitieren können, Eltern und Kinder. Klar geht es Erstlingseltern auch darum, in einer Gruppe zu sein: sich Austausch zu holen, Erfahrungen zu sammeln, die man selbst noch nicht hat, abzugleichen mit anderen. Wenn das Baby Austausch erfährt, ist das schön, aber dafür muss es keinen Kurs machen. Da gibt es andere Möglichkeiten.

Sara Rochol: Ein Kind braucht vor allem eine gute Beziehung zu den Eltern, die wachsen kann und sich entwickelt. Es braucht zufriedene Eltern. Manchmal kommt man aber schneller, als man denkt, an seine Grenzen, weil Sachen, die man sich vorher ausgemalt hat, im Babyalltag auf einmal total anders laufen. Und wenn man heute im Freundeskreis keinen mit Kindern hat, ist man ziemlich allein mit den Problemen. Deswegen ist unser Angebot, sich im Krabbelcafé auszutauschen mit Menschen in der gleichen Situation, genauso wichtig wie die geleiteten Treffen.

Lisa Sperling: Ich finde schön, wenn Leute anfangen, selbst etwas zu initiieren. Wenn sie zum Beispiel sagen: Wir vier tun uns jetzt zusammen und passen gegenseitig auf unsere Kinder auf, damit man sich auch mal drei Stunden in die Badewanne legen kann. Damit man sich mal wieder als Mensch fühlt und nicht nur als Muttertier. Wir haben Gruppen im Laden, die auch nach drei Jahren immer noch zusammen Kindergeburtstag feiern.

Sara Rochol: Das sind so Glücksmomente, da denke ich: Genau deswegen machen wir das Kurz&Klein.

Sie selbst haben mit Ihren Kindern ein interessantes Experiment gemacht: Sie haben versucht, sie ohne Windeln großzuziehen. Wie kam es dazu?

Sara Rochol: Ich bin durch Lisa auf das ganze Thema gestoßen, die hat mit ihrer Tochter windelfrei gemacht. Ich hatte davon noch nie etwas gehört. Dann habe ich bei meinem zweiten Kind die Chance ergriffen und mich damit auseinandergesetzt. Vor allem die Kommunikation dabei hat mich interessiert.

„Es geht nicht darum, ein Kind sauber zu bekommen, sondern auf Signale zu reagieren“

Aber wie geht denn das?

Sara Rochol: Ich habe mein Kind gefragt, ob es pinkeln oder kacken muss, genauso wie ich es frage, ob es trinken will. Dann habe ich es über das Waschbecken gehalten, oft nach dem Stillen.

Und geht da nicht ständig was daneben?

Sara Rochol: Es geht nicht darum, ein Kind sauber zu bekommen. Sondern dass ich lerne, auf die Signale zu reagieren, die auf Grundbedürfnisse meines Kindes hinweisen wie Schlaf, Durst, eine volle Blase.

Lisa Sperling: Ja, bei windelfrei geht es nicht um Sauberkeitserziehung. Aber natürlich ist das ein toller Nebeneffekt, dass du dadurch viel weniger Kackwindeln entsorgen musst.

Nun sind Sie ja inzwischen eine Art Institution im Kiez für Eltern kleiner Kinder. Was kriegen Sie umgekehrt mit vom Kiez und seinen Problemen?

Lisa Sperling: Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal seit Ewigkeiten abends durch den Kiez gelaufen bin, habe ich gedacht: Ich bin alt geworden. Es ist Wahnsinn, in welchem Tempo sich hier alles verändert hat. Jeder weiß, die Mieten steigen, aber ich denke, nicht zwangsläufig das Gehalt der Leute. Ansonsten besteht mein Bezug zum Kiez viel aus sehr persönlichen Kontakten zu unseren Kunden.

Hierher kommt ja eine bestimmte Klientel, man könnte vielleicht sagen, die biodeutsche grün-bürgerliche Mittelschicht. Vor zehn Jahren hätte der Laden im Kiez vermutlich nicht funktioniert, oder?

Lisa Sperling: Echt? Glauben Sie, in Neukölln wohnt wirklich schon die grüne Mittelschicht? Ich habe vielmehr das Gefühl, dass unsere Kunden verschiedene Backgrounds haben. Klar, viele machen sich Gedanken um Nachhaltigkeit und Ökologie, dass passt ja auch zu unserem Konzept. Aber vom Hartz-IV-Empfänger über Studenten, Lehrer, Ärzte trinken doch alle ihren Kaffee gemeinsam auf unserer Krabbeldecke. Aber es hat sich etwas geändert, ganz klar. Früher waren mehr Frauen mit türkischem und arabischem Hintergrund hier.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Lisa Sperling: Ich frage mich, wie viele ihrer Familien hier noch leben. Und ich denke, wer hier reinkommt, merkt schnell: Möchte ich hier dazugehören, gehöre ich dazu. Da versuchen wir zu verbinden und Brücken zu schlagen. Aber wenn Leute aus zu unterschiedlichen sozialen Richtungen oder mit zu unterschiedlichem ethnischen Hintergrund kommen, muss am Anfang von beiden Seiten schon eine große Motivation da sein, um Anknüpfungspunkte zu finden. Und wer hat die schon immer im Alltag?

Sara Rochol: Was ich vom Kiez mitbekomme, ist, wie die Kinder unserer Besucher groß werden. Die ersten gehen jetzt in die Schule – und sie gehen hier in die Schule. Und ich denke: Cool, die sind richtig hier angekommen. Ich treffe Eltern, die mir erzählen, wie sie sich damit auseinandergesetzt haben, ob sie ihr Kind in Neukölln zur Schule anmelden. Und die sich entschieden haben und sagen, sie nehmen das als Herausforderung an, sie wollen hierbleiben und sich einsetzen, damit ihre Kinder gemeinsam Einrichtungen besuchen. Es kommen auch Eltern ins Kurz&Klein, die fragen, kennst du die und die Schule. Und ich kann dann sagen: Ja, ich kenne Eltern, die ihr Kind dahin geben und sehr zufrieden sind.

Apropos schicker werdender Kiez: Können Sie inzwischen leben von Ihrem Geschäft?

Sara Rochol: Wir haben es vor.