: Fast nichts
In den Fußstapfen der großen Minimalisten: Martin Boyce im „Kabinett für Aktuelle Kunst“
Eine Landschaft will er beschreiben, eine Landschaft aus wenigen Zeichen. Unterm kalten Neonlicht des nur ladenraum-großen „Kabinetts für Aktuelle Kunst“ – gleich hinter Bremerhavens Kunsthalle – ist zwischen kalkweißen Wänden fast nichts zu sehen. Umso mehr fallen die Belüftungsschächte auf, schwarzes Gitter, Aluminium, ein goldfarbenes Raster. Eine Grafik, sagt Martin Boyce.
Das grafische Muster hat er einem kubistisch inspirierten Design der Pariser Weltausstellung abgeguckt. An der schmalen Zwischenwand hängt eine Bogenlampe – an der Spitze eines langen, unten merkwürdig gekrümmten, abgesägten Rohrs sitzt eine einzige nackte Glühbirne. An der rechten Seitenwand auf Handhöhe ein einsamer Aschenbecher, rautenförmig, silberfarben. Alles in diesem Raum wirkt wie verloren und zugleich, gerade darum, poetisch. „Broken Fall“ nennt Martin Boyce die Installation, und er spielt auf eine Ausstellung von 1972 an, als Bas Jan Ader unter demselben Titel im schwarz verhängten Kabinett Kurzfilme gezeigt hatte.
Drei Jahre danach war Ader unter ungeklärten Umständen ertrunken. „Broken Fall“ ist eine Hommage an einen Künstler, der immer mit dem (eigenen) Fallen gespielt hatte, vor allem aber eine Hommage an die Gegen-Kraft der Poesie, die hier mit den minimalsten Mitteln ein Bild erzeugt, das von Beckett sein könnte, eine Bühne für „Warten auf Godot“, und doch etwas eigenes ist: eine karge Landschaft, in der es bei aller Kälte dennoch ein warmes Licht gibt. Die nackte Glühbirne leuchtet anders als der neonkalte Raum.
Hans Happel
Bis15. Januar im Bremerhavener Kabinett für Aktuelle Kunst (Karlsburg 4)