: „Hoffen, dass es Kult wird“
Die ARD hat viel vor im nächsten Jahr: ganz viel Sport, mehr Harald Schmidt, noch mehr Info-Sendungen und verlängertes Telenovela-Süßholzgeraspel – nur mit neuen Shows hapert’s noch
AUS KÖLN SEBASTIAN SEDLMAYR
In sich gekehrt lauschte Harald Schmidt dem, was die ARD für das Jahr 2006 ankündigte. Der Gentleman unter den deutschen Entertainern hatte sich die Henker ins Haus geholt, um sie zu besänftigen: Dort, wo sonst die Band spielt, saßen die sechs ARD-Programmkoordinatoren, auf Schmidts Platz ihr ironiegeübter Häuptling Günter Struve, bekannt für seine scharfen Kommentare. Schmidts ans Devote grenzende Höflichkeit siegte. Die Topmeldung auf der gestrigen Programm-Pressekonferenz des Ersten in Schmidts Kölner Studio lautete: Sein Vertrag mit der ARD ist bis Juli 2007 verlängert – als Beweis dafür, „dass wir nicht nur nach Quote gehen, aber auch nicht direkt nach Qualität“, witzelte Struve.
In Leipzig hatten die ARD-Senderchefs Mitte der Woche bereits die Weichen für eine neue interne Kontrolle gestellt (taz von gestern), in Köln wurde nun auch verraten, was es Neues im Programm gibt. Nachdem Harald Schmidt seine Gäste und ihre Präsentation so spitzig-witzig wie möglich angekündigt hatte, nahm er auf Manuel Andracks Sessel wie auf einem Büßerbänkchen Platz. Erst ganz am Schluss schreckte er noch einmal hoch, um seinen zweiten großen ARD-Auftritt 2006 zu kommentieren: Gemeinsam mit Waldemar Hartmann wird Harald Schmidt die Olympischen Winterspiele in Turin kommentieren. Wenn sich das bewährt, soll „Waldi und Harry“ auch zur Fußball-WM laufen. „Wir hoffen, dass es Kult wird“, mahnte Struve.
Dass 2006 im Zeichen der Fußball-WM in Deutschland auch in der ARD zum großen Sportjahr avancieren würde, war vorauszusehen. Die WM „wird das Programm bestimmen von morgens bis abends“, warnte Koordinator Hagen Boßdorf. Von 7. Juni bis 7. Juli wird die ARD alles daransetzen, den Sportanteil, der momentan laut Boßdorf entgegen aller subjektiven Wahrnehmung „so gering wie seit zehn Jahren nicht mehr“ ist, wieder über 10 Prozent zu hieven.
Auch darüber hinaus sind ein paar Schmankerl im ARD-Programm 2006 versteckt. Zum Beispiel die Unterhaltungssendung „Frag doch mal die Maus“, moderiert vom omnipräsenten Jörg Pilawa, in der mehr als 7.500 Fragen wie „Warum ist der Himmel blau“ in gewohnt seriöser Weise von der Maus beantwortet werden. Für den Vorabend sind die „Bräuteschule 1956“, die Axel-Hacke-Kolumnenverfilmung „Das Beste aus meinem Leben“ und der „Berlin, Berlin“-Nachfolger „Liebe, Liebe“ angekündigt. Außerdem kommt „Türkisch für Anfänger“, eine „Multikulti-Patchwork-Comedy“, in der eine 17-Jährige ihren alltäglichen Familienirrsinn mit zwei türkischen Stiefgeschwistern erzählt.
Überhaupt, die Familie! Ob Mauerbau oder Contergan-Skandal – selbst die politischsten Themen werden noch in Familiendramen gepresst, die dann im Programmschema neben den zusätzlichen eigenständigen „Familiengeschichten“ firmieren dürfen, damit die geballte Personalisierungs- und Weichspülsoße nicht ganz so arg auffällt. Für den ARD-Fernsehfilm-Koordinator Ulrich Deppendorf ist das hingegen „der einzige Platz, der sich mit gesellschaftlichen Problemen befasst“.
Davon kann bei den erfolgreichsten Musiksendungen des deutschen Fernsehens natürlich nicht die Rede sein. Nein, gemeint ist nicht der Eurovision Song Contest, der 2006 abermals modifiziert wird. Gemeint sind „Die Feste der Volksmusik“, „Die Krone der Volksmusik“ und der „Musikantenstadl“. Alle drei werden weiterhin am Samstagabend laufen, der „Stadl“ nach dem Abgang von Karl Moik Ende des Jahres vielleicht unter der Leitung der 28-jährigen Schlagersängerin Francine Jordi, was die ARD-Chefs gestern allerdings nicht bestätigten. Auch der Nachfolger von Max Palu als Saarbrücker „Tatort“-Kommissar blieb ungenannt. Dafür steht fest, dass das Traumpaar in der Telenovela „Sturm der Liebe“ nicht wie geplant bis Mai 2006 zusammenfindet, sondern 120 Folgen mehr braucht.
Auch im Bereich „Politik, Gesellschaft und Kultur“, koordiniert von Hartmann von der Tann, ist Kuscheln oberstes Gebot. Einen „positiven Grundton in allen Projekten“ habe man treffen wollen. Die gekürzten Polit-Magazine sind da bei der gestrigen Vorstellung gleich ganz außen vor geblieben. Das solle aber „keine Diskriminierung“ darstellen, betonte von der Tann – auf Nachfrage. Stattdessen lebt die Politik in der ARD von den fünf Landtagswahlen. Wie praktisch, dass die fünf Urnengänge sich auf maximal drei Termine im Frühjahr und im Herbst verteilen. Da bleibt mehr Zeit für Sport und Unterhaltung.