PFERDEFLEISCH, MODEFRAGEN UND GROSSE SPRACHTECHNIKER: MIT EINEM KRANKEN MAGEN DURCH DAS WOCHENENDE
: Aber wo ist jetzt der Diss?

VON JURI STERNBURG

Alles begann mit der Lasagne. Ich hatte sie demonstrativ bestellt. Nicht, um etwas zu beweisen wie die Politiker aus Fukushima, wenn sie grinsend in verstrahlte Tomaten beißen. Sondern einzig und allein, weil ich kein Problem mit Pferdefleisch habe. Liegt vielleicht daran, dass ich kein über Generationen vererbtes Stalingrad-Trauma in mir trage, oder an der Tatsache, dass ich bereits vor Jahren in Kasachstan zwei riesige Portionen Pferdezunge vertilgt hatte, bevor man mich über die Herkunft des in dünne Scheiben geschnittenen Fleischs aufklärte.

Aber wollen wir nicht mehr länger darauf herumreiten, Pferdefleischwitze sind was für den Februar. Im März gibt es schon wieder neue Skandale. Wenn ich mich recht erinnere, ging es um irgendwelche falsch deklarierten Bioeier, und garantiert gab es auch wieder „Ermittlungspannen“ im NSU-Umfeld. Wobei diese Meldungen inzwischen genauso wahrgenommen werden wie Selbstmordanschläge im Irak – quasi gar nicht.

Falls Sie sich fragen, warum ich so herzerweichend jammere: Ich hatte was mit dem Magen und lag waagerecht in der Gegend herum. Mag an der Lasagne gelegen haben, ist sogar relativ wahrscheinlich, aber beweisen kann ich nichts. Dazu kam auch noch eine leichte Grippe. Kurzum, ich war bestens gerüstet für das Wochenende.

Blass und schwächlich quälte ich mich aus dem Bett, um der Welt mitzuteilen, wie schlecht es mir doch geht. Auf der ersten Veranstaltung konnte mein Erscheinungsbild noch als Statement verstanden werden, schließlich treiben sich auf Vernissagen jede Menge Leptosome rum. Die wunderbare Schrüppe McIntosh vom Berliner Modelabel Schrottvogel und weitere Kreative luden in die Urban Spree Gallery, das Thema war mit „Apokalypse“ passend gewählt und wie für mich gemacht.

Wenn ich mir Mode anschaue, dann auf Magentabletten, Aspirin und kurz vor dem Weltuntergang. Selbstverständlich war es vor Ort ganz wunderbar, und die Feuershow lenkte mich kurzfristig von meinen Erste-Welt-Problemen ab. Einen Moment fürchtete ich um die umstehenden Mode-Interessierten – ihre Pullover schienen Fäden zu ziehen, und diese können bekanntlich leicht brennen. Doch dann stellte ich erleichtert fest, dass es sich lediglich um die Arme der anwesenden Antagonisten handelte. Hier wirkten viele ein wenig kränklich – oder wie ich neulich in einem offenen Brief einer Friedrichshainer Antifagruppe lesen durfte: „Juri Sternburg passt ins Bild.“ Um mit den Worten des großen Sprachtechnikers und Rappers Kool Savas zu antworten: „Aber wo ist jetzt der Diss, ich peil’s nicht mal?“

Ich geb dir Faust 1 und 2

Auf der nächsten Veranstaltung würde ich mit meinen glasigen Augen und dem Mitleidsblick nicht weit kommen. Der „Meister aus Kreuzberg“ und ebenfalls als Sprachtechniker verschriene MachOne feierte das Finale seiner „Außen Draußen Tour“ im Festsaal Kreuzberg. Hier sahen die Oberarme wie die Torsos von Kunststudenten aus, Aussagen wie „Ich habe eine leichte Grippe“ wurden nicht mal wahrgenommen, und wenn jemand sagte, „Ich geb dir Faust 1 und 2“, ging es garantiert nicht um Goethe. So weit das Klischee. In Wirklichkeit galt hier nur eine einzige Regel: Wenn der Kopf noch dran ist, wird das Haus abgerissen. Haben wir dann auch gemacht. Bei gefühlten 40 Grad und massig warmem Bier durch die Gegend springen ist für angeschlagene Pferdefleischesser definitiv erholsamer, als phlegmatisch Kunstausstellungen zu besuchen und auf Mitleid zu hoffen. Zumindest für den Moment.