Hertha siegt im Fehlpasswettbewerb

Nach einem 0:1-Rückstand zur Pause gewinnt Hertha BSC doch noch knapp mit 2:1 gegen Leverkusen. Und Marcelinho nährt nach seinem Siegestreffer die Hoffnung der Fans, dass für die Berliner das Schlimmste überstanden ist

Es ist sicher nicht einfach, mit dem Druck umzugehen, der seit der Mitgliederversammlung des Vereins zu Beginn der vergangenen Woche auf der Mannschaft lastet. Jetzt weiß auch der letzte Spieler, wie schlecht es dem Club geht. Das Team hochkarätig zu verstärken, kann sich Hertha nicht leisten. Dennoch sprach beinahe jeder, der bei Hertha etwas zu sagen hat, unter der Woche von großen Zielen, vom internationalen Geschäft. „Natürlich wollen wir mehr“, fasste Manager Dieter Hoeneß die Forderungen zusammen. Sogar das Wort „Titel“ hatte er in den Munde genommen. So einer soll zwar nicht unbedingt schon in dieser Saison geholt werden, aber allzu lange sollte es nicht mehr dauern, bis die Berliner einen Pokal gen Himmel heben werden. Vielleicht war ja der 2:1-Sieg der Berliner gestern in Leverkusen ein erster Schritt in Richtung der metallenen Pötte und Schüsseln.

Mit Gilberto, der nach einer langwierigen Bänderverletzung endlich wieder dabei war, und Yildiray Bastürk, der sich im Laufe der Woche wieder gesund gemeldet hatte, standen zwei erholte kreative Kräfte zur Verfügung. Trainer Falko Götz erhoffte von ihnen, dass den zuletzt doch recht müden Marcelinho entlasten könnten.

Der Brasilianer tat sich auch gestern wieder schwer, ins Spiel zu kommen. Für einen völlig missratenen Freistoß nach fünf Minuten musste er sich von den Leverkusener Fans verhöhnen lassen – ein bitterer Moment. Doch die Bayeranhänger stöhnten alsbald auch über ihre eigene Mannschaft, die sich mit den Berlinern einen wahren Fehlpasswettbewerb lieferte.

Das recht überraschende 1:0 durch einen Distanzschuss von Dimitar Berbatow in der 20. Minute konnte dann auch nicht dafür sorgen, dass aus dem hektischen Gekicke der ersten Minuten ein richtiges Fußballspiel wurde.

Zur allgemeinen Verunsicherung bei Hertha aufgrund des von der Vereinsführung aufgebauten Drucks kam nun noch die spezielle nach dem Rückstand. Als Marko Pantelic einen nicht gerade kompliziert zu spielenden Ball aus vielleicht zwei Metern Entfernung über das leer stehende Tor zirkelte, war der Höhepunkt der Berliner Ungeschicklichkeiten erreicht.

Dass Hertha in der 58. Minute durch Bastürk dann doch zum Ausgleich gekommen ist, lag an der Höflichkeit der Gastgeber. Sie ließen ihren ehemaligen Mannschaftskameraden dermaßen frei am 16-Meter-Raum stehen, dass der alle Zeit hatte sich zu überlegen, wie er den Ball einschieben kann. Es war ein Befreiungsschlag. Denn endlich kamen die Pässe bei Hertha an, und es war zu spüren, dass die Mannschaft den Glauben an sich selbst zurückgefunden hat.

Vielleicht gilt das sogar für Marcelinho: Nach seinem 2:1 nur sechs Minuten nach dem Ausgleich jedenfalls spielte er beinahe wieder so, als wäre er nie in eine Krise gerutscht. Ein gutes Zeichen für Hertha – denn geht es Marcelinho gut, geht es meist der ganzen Mannschaft gut.

Andreas Rüttenauer