Gottes nette Handlanger

Am Wochenende feierte die CSU ihren 60. Geburtstag genau so, wie man es sich bei der CSU vorstellt: zunächst in der Kirche, danach im Wirtshaus. Mit Jung und Alt und in aller Bescheidenheit

aus MÜNCHEN MAX HÄGLER

„Wir bitten euch aber, liebe Brüder, haltet Frieden untereinander. Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Seht zu, daß keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann …“

Durchaus mit Bedacht hat der evangelisch-lutherische Kirchenrat Dieter Breit die Worte – den erste Brief Paulus an die Thessalonicher – seiner Predigt gewählt. Ist es doch nicht irgendeine Predigt, die er feiert, sondern die zum 60. Geburtstag der Christlich-Sozialen Union. Einer Partei, die trotz der evangelischen Franken mit Günther Beckstein als prominentestem Vertreter mehrheitlich katholisch ist.

Doch die Zeiten ändern sich, die Menschen wenden sich ab von den einstigen gesellschaftlichen Institutionen. Die Reihen in der Münchner Mariahilf-Kirche sind schwach besetzt an diesem Samstagnachmittag, trotz Ökumene, trotz des Landesvaters Edmund Stoiber, der ganz vorn steht samt Gattin Karin, Generalsekretär Markus Söder, Parteivize Horst Seehofer und ein paar Weiteren aus dem bayerischen Kabinett, der Fraktion und dem Parteivorstand.

Nicht nur das Parteivolk und die Kirchengänger bleiben aus, auch zwei Bänke mit dem Schildchen „Parteivorstand“ sind verweist. Vielleicht fürchten sie den protestantischem Schalk, aber wahrscheinlich hat die Institution Kirche bei manchem einfach ausgedient – auch wenn jeder laut Parteibuch Christ ist.

Kinder sind nicht zu sehen, Zwanzigjährige auch nicht, beinahe der Jüngste ist wohl Markus Söder. Und vielleicht zeigt sein Verhalten den politischen Paradigmenwechsel an, den ein Generationswechsel mit sich bringt: Er ist der Erste, der zum Aufbruch aus der Kirche drängt, als der Segen gesprochen ist.

Es ist nicht das prunkvollste Gotteshaus der Stadt. Aber Protzen passt in diesen Tagen nicht zur Partei, die in Umfragen nicht mehr wie gewohnt die absolute Mehrheit erreicht und um deren Führungsköpfe nach Stoibers Berlindesaster öffentlich wie nie gestritten wird. Und nicht zuletzt ist die Lage günstig zum Feiern – wahrscheinlich hat Söder die Wahl getroffen –, liegt doch oben am Isarhochufer, das gleich hinter der Kirche ansteigt, der Nockherberg.

Jedes Jahr aufs Neue muss hier die Politprominenz aus Bayern und Berlin antreten und manchen derben Spott beim Starkbieranstich aushalten. Ein Ort mit Geschichte und Geschichten, ohne Zweifel. Aber natürlich hätte es auch für den weltlichen Teil der Geburtstagsfeier prunkvollere Orte gegeben als den Saal eines Wirtshauses.

Doch auch hier war die Devise klar: bitte schlicht. Luftballons statt Lichtzauber. Bier statt Champagner. Sitzen statt Schwofen. Schließlich müssen Parteiführung, Parteimitglieder und Sympathisanten wieder zusammenfinden nach Stoibers Zeit des Wankens. Unter solchen Umständen setzt man sich eben lieber beschaulich bei Bier und Schweinebraten ins Wirtshaus.

Mitgekommen von der Kirche zum Nockherberg ist auch Sebastian Gruber. Sein Sohn Markus ist Geschäftsführer der CSU-Landtagsfraktion, er selbst ist nicht Parteimitglied, „aber denen schon eher zugewandt“. Doch der Sympathie wegen ist der ehemalige Schulaufseher der Regierung von Oberbayern nicht vorbeigekommen, so weit geht es dann doch nicht.

Mitgesungen hat er im Kirchenchor. Jetzt sitzt er im Lodenjanker am weiß getuchten Biertisch und blickt mit seinen altersweisen Augen, die ein wenig an Hans Clarin erinnern, hinüber zum anderen Tisch, wo Wissenschaftsminister Thomas Goppel ganz bodenständig unter dem Parteivolk sitzt und eifrig an einem Gedicht schreibt, dass er der Partei später vortragen wird.

Freundlich spendet Gruber dem Geburtstagsgast Angela Merkel Beifall, die von der Depression erzählt, die einen jeden CDUler immer noch überkommt, wenn er nach Bayern blickt und die Erfolge der Volkspartei CSU sieht. Auch Stoiber beklatscht er, nicht viel mehr, nicht viel weniger als die Bundeskanzlerin. Kurz und freundlich.

„Der hat schon eine zunehmende Zentralisation betrieben in den letzten Jahren, aber ich glaube, er hat’s jetzt eingesehen“. Es wird der einzige politische Kommentar des pensionierten Regierungsbeamten Gruber bleiben. Demütig und einsichtig gibt sich der Parteichef bei seiner Geburtstagsansprache, so als ob zumindest bei ihm die Andacht in der Mariahilf-Kirche noch nachklingt: „Wir sind uns der Unvollkommenheit des Handelns bewusst. Die Menschen sind vor Fehlern nicht gefeit. Das gilt für jeden und auch für mich.“

Vom Tag „der Dankbarkeit, der Freude, aber auch der Gemeinsamkeit“ spricht er, von Franz Josef Strauß natürlich. Und von der „großen Dachmarke“, die alles Weiß-Blaue zusammenfasst und die die CSU zu einem regionalpolitischen Spezifikum macht: „Die Leute verbinden Bayern mit der CSU und die CSU mit Bayern. Deswegen sind wir eine so starke Volkspartei.“ So einfach ist das.

Die Notwendigkeit eines kinderfreundlichen Landes beschwört Stoiber, die Integration der Ausländer und der Schwachen – wie gehabt vom Blatt lesend. Die Worte sind in diesen Tagen nur eben sanfter als sonst. Bezeichnend ist, dass der mit Abstand schneidigste Spruch aus Frankreich kommt: „Ich freue mich über eine Übereinstimmung in Ideologie und Handlungsweise“, gibt Frankreichs konservativer Scharfmacher Nicolas Sarkozy per Videobotschaft zum Besten: „Edmund, du hast viele Freunde in Frankreich.“ Bei ihm, dem Edmund, geht es eben weniger um die gestrenge Politik.

Die Basis, die Mitglieder kommen immer wieder zur Sprache, denn: „Sie sind Auge, Ohr und Stimme der Partei. Und Seele.“

Ria Dellmeier ist so eine Parteiseele. Geboren in Paderborn und immer noch mit einem westfälischen Zungenschlag ausgestattet, ist die 71-Jährige vor Jahrzehnten nach München gekommen und inzwischen seit 30 Jahren in der Partei und im Bezirksausschuss aktiv. Genau sagen kann sie nicht mehr, wieso sie zur CSU gegangen ist. „Die Partei hat mir eben gefallen.“ Erinnern kann sie sich aber noch an den Ministerpräsidenten: „Vor zehn Jahren war der Stoiber noch ganz anders.“

Auf dem Stadtteilfesten war er da, hat mit den Menschen geredet, sich hingesetzt und zugehört. „Jetzt kommt er nicht mehr. Sicher hat er viel zu tun. Aber ich glaube, es liegt vor allem daran, dass die Politik die Menschen zu Marionetten macht.“

Auch zu Marionetten der eigenen Inszenierung. Auf dem Programm steht die Ehrung der Parteigründer – 32 alte Männer und Frauen haben den Weg auf den Nockherberg noch geschafft. Auf den Gehstock gestützt, auf den Rollwagen oder den starken Arm eines Enkels.

Fröhlich und stolz sind diese Menschen, doch Söder liest ihre Namen im Eiltempo herunter, ohne vom Blatt aufzuschauen. So schnell ist der Dramaturg, dass Stoiber, der die Urkundenfee gibt, gar nicht hinterher kommt mit dem Überreichen. Dabei haben diese Menschen spannende Geschichten zu erzählen.

Wie Ernst Lämmermann. 88 Jahre ist er alt, die Hose seines altertümlichen Anzugs ist ein wenig zu weit und ein wenig zu kurz, aber der Hut passt. Vor 60 Jahren, im Frühjahr 1946, hat er mit zwei anderen zusammen den Zirndorfer CSU-Ortsverband gegründet. Ein Bekannter, „ein Katholik“, hatte ihn gefragt, ob er mitmachen will bei der neuen Partei. „Dann bin ich hin zu meinem Pfarrer, ein Evangele, und der hat gesagt: Mach es, meinen Segen hast du.“

Ganz praktisch war der frisch verheiratete Bäcker damals verärgert über „die SPDler, die die Wohnungsvergabe so herrschaftlich verwaltet haben“. Eine nüchterne Einstellung, die dem Mittelfranken geblieben ist, trotz hohen Alters und Gehstocks: „Alle beschweren sich ja gerade über Reformen in Bayern. Aber das gehört dazu, es ist nicht alles so, wie man sich’s wünscht“, sagt er und fügt hinzu: „Und auch wem’s nicht passt: Dem Volk bleibt doch gar nichts anderes als die CSU. Wir haben doch nichts anderes.“