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Archiv-Artikel

Gute Zeiten für Radikale

THEATER Am Samstag beginnt das Festival F.I.N.D. in der Schaubühne – eine Plattform für neues Theater aus Europa, das sich mit brisanten Stoffen der Krise stellt

F.I.N.D. 2013

■ Beim 13. Festival Internationale Neue Dramatik steht die Schaubühne vom 16. bis 24. März im Zeichen von neuem Theater aus Europa: Regisseure und Dramatiker aus Italien, Spanien, Griechenland, Russland, Ungarn und Island zeigen ihre neuen Arbeiten erstmalig in Berlin und stellen sich vor.

■ Mit einigen der Regisseure gibt es am Sonntag, 17. März, um 15 Uhr auch eine Diskussionsrunde über die Angst vor dem Staatsbankrott. Debattensprache ist Englisch. www. schaubuehne.de

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Thomas Ostermeier redet, und rechts und links vom Schaubühnenleiter begleitet Gemurmel in Griechisch und Italienisch seine Vorstellung der 13. Ausgabe des Festivals Internationaler Neuer Dramatik (F.I.N.D.). Rechts dolmetscht Tobias Veit, geschäftsführender Direktor der Schaubühne, für Christos Passalis, Teil des Athener Kollektivs Blitz, das schon vergangenes Jahr bei F.I.N.D. dabei war. Sein Stück „Galaxy“ nahm die Schaubühne ins Repertoire auf, ein Beleg für die nachhaltigen Arbeitskontakte, die bei F.I.N.D. gefunden werden. Links übersetzt der Dramaturg Florian Borchmeyer für den italienischen Regisseur Romeo Castellucci.

Sein Stück für das Festival aber, „Hyperion. Briefe eines Terroristen“ inszeniert Castellucci in deutscher Sprache – eben der Sprache Hölderlins, mit Schauspielern der Schaubühne, unter anderem Angela Winkler. Hölderlins Sprache sei für ihn das gemeinsame Feld der Begegnung: die deutschsprachigen Schauspieler haben deshalb für ihn die Autorität, sie schaffen den Zugang zu dem Dichter, der ihn ob seiner Radikalität interessiert.

„Hyperion verwechselt das Leben mit der Kunst – das macht ihn zu einem Helden“, sagt Castellucci, aber einem Helden, „der scheitern muss“. Der Text handelt von großer Einsamkeit und vom Begriff der Schönheit – gerade, dass beides keinen Stellenwert unter den sozialen Konzepten der Gegenwart hat, macht für Castellucci die Anziehungskraft des Textes aus.

Romeo Castellucci ist selbst für seine Radikalität berühmt – und für seine bildgewaltigen Inszenierungen. Seit Jahren sind seine Stückentwicklungen auf internationalen Festivals zu sehen, in Italien selbst aber hat der italienische Regisseur keine Bühne. Das „Wort Kultur“, sagt er, scheinen die Politiker nicht mehr zu kennen. Es sei aus den Zeitungen, aus den Kommunen, aus den Schulen verschwunden. „Eine deprimierende Situation“ für junge Künstler, sagt er.

In beinahe jedem der Länder, aus denen die Regisseure, Autoren und Schauspieler zu F.I.N.D. kommen, geht es der Kultur an den Kragen. In Ungarn, das mit dem „Frankenstein-Projekt“ von Kornél Mundruczo kommt, von Seiten einer rechtslastigen Politik. In Spanien, Italien, Griechenland als Folge der ökonomischen Krise.

Für Castellucci ist die Rede von der wirtschaftlichen Krise aber auch nur eine Floskel, mit der tiefere Probleme verdeckt werden: Das sei „eine Krise aller gesellschaftlichen Modelle, die wir uns bisher gegeben haben, der bisherigen Ideologien, und nicht zuletzt der Politik selbst“.

Auch für Christos Passalis hat die Krise der Gegenwart langfristige Ursachen. „Für uns war Griechenland schon immer in der Krise, nichts hat richtig funktioniert. Geld, das in der Mittelklasse existierte, ließ die Dinge so aussehen, als ginge es – aber auch das ist jetzt weg.“ Ein Gewinner der gegenwärtigen Situation sind radikale Gruppen wie die Neonazis in Griechenland, sagt Passalis.

Manifeste der RAF

Für sein Stück „Der terroristische Tanzsalon“, das er ebenfalls mit Schauspielern der Schaubühne erarbeitet, greift er auf Texte von Guy Debord, auf Manifeste der RAF und auf aktuelle griechische Aufrufe zurück. Das „Verwirrende der gegenwärtige Situation“ ist das, mit dem er arbeiten will, und nicht von ungefähr steht der Widerspruch bereits im Titel des Stücks – die Radikalität politischer Texte in der bourgeoisen Atmosphäre des Salons.

Der spanische Autor Rodrigo Garcia nimmt wieder an dem Festival teil, und eine Erzählung des argentinischen Autors Roberto Bolano, „Der Rattenpolizist“, wird in einem Workshop bearbeitet und präsentiert. Ein zweiter Workshop beschäftigt sich mit dem russischen Roman „Nahe Null“, der einen bösen Blick auf Korruption und Politik in Russland wirft. Der Name des Verfassers, Natan Dubowizki, ist ein Pseudonym; dahinter wird der Politiker und derzeitige russische Vizeminister Wladislaw Jurewitsch Surkow vermutet, sozusagen eine „Innenansicht aus dem Herzen der Macht“, wie es Ostermeier formuliert. Eines kann man schon jetzt über das Festival sagen: an politisch brisanten Stoffen ist jedenfalls kein Mangel.