Das Licht selbst filmen

AN DER KAMERA Reinhold Vorschneider schafft Bilder von großer Leichtigkeit und rätselhafter Schönheit. Er versteht einen Regisseur, bevor dieser sich selbst versteht. Jetzt hat er den Marburger Kamerapreis bekommen. Die taz dokumentiert die Laudatio, die die Filmemacherin Angela Schanelec gehalten hat

■ Der Preis wird jährlich von der Stadt Marburg und der Philipps-Universität verliehen und ist mit 5.000 Euro dotiert. Ausgezeichnet werden Kameraleute aus dem In- und Ausland für herausragende Bildgestaltung. Zu den bisherigen Preisträgern zählen Agnès Godard, Eduardo Serra, Frank Griebe und Raoul Coutard.

■ Der Preisträger: Reinhold Vorschneider wurde 1951 geboren und studierte zunächst Philosophie und Politologie, bevor er 1983 ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) aufnahm. Seit 1988 ist er als Kameramann tätig. Filme (Auswahl): „Der Philosoph“ (Regie: Rudolf Thome, 1989), „In den Tag hinein“ (Regie: Maria Speth, 2001), „Der Räuber“ (Regie: Benjamin Heisenberg, 2010), „Orly“ (Regie: Angela Schanelec, 2010).

■ Die Laudatorin: Die Filmemacherin Angela Schanelec (geb. 1962) steht für eine Kino-Erneuerung, die Mitte der 90er Jahre begann, zu der außer ihr auch Thomas Arslan und Christian Petzold beitrugen und die unter dem Begriff der Berliner Schule gefasst wird. Zu ihren Filmen gehören: „Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben“ (1993), „Plätze in Städten“ (1998), „Marseille“ (2004) und „Orly“ (2010). Mit dem Kameramann Reinhold Vorschneider verbindet sie eine lange, intensive Arbeitsbeziehung.

VON ANGELA SCHANELEC

Guten Abend und herzlichen Dank für die Einladung. Dass Reinhold Vorschneider heute diesen Preis erhält, der zum ersten Mal 2001 an Raoul Coutard ging, das freut mich wirklich sehr, und ich empfinde es als Ehre, Ihnen aus meiner Sicht von Reinholds Arbeit erzählen zu dürfen.

Zum ersten Mal auf seine Bilder gestoßen bin ich vor mehr als zwanzig Jahren. Ich hatte angefangen, an der DFFB zu studieren, und bin mit den ersten Minuten gedrehten Materials in einem Schneideraum gelandet, in dem auch ein Abschlussfilm geschnitten wurde. Das war Wolfgang Schmidt, der sich in Massen von Material vergraben hatte. Immer wenn ich in den Schneideraum kam und ihn in seiner Arbeit unterbrechen und vorsichtig darauf hinweisen musste, dass ich jetzt dran war, sah ich auf dem Schneidetisch ein paar Bilder. Die waren von Reinhold. Sie waren von großer Leichtigkeit und rätselhafter Schönheit. Ich habe bei meinen neugierigen Seitenblicken nichts verstanden, aber ich hatte das Gefühl, dass diese Bilder nur so sein können und nicht anders, dass sie mit absoluter Gewissheit gefunden worden waren. Der Film, von dem ich spreche, heißt „Navy Cut“, und man sieht darin zum Beispiel das berühmte Shell-Haus am Landwehrkanal, aber es sieht aus wie ein Schiff, wie überhaupt der ganze Film aussieht, als seien die Bilder allein der Fantasie geschuldet, jedoch mit einer Genauigkeit und Klarheit, als sei die Fantasie nicht Traum, sondern wahr.

Ich hab mir dann die Telefonnummer von Reinhold geben lassen und ihn gefragt, ob er mit mir arbeiten würde. Er sagte „nein“ und ich solle mir doch lieber jemanden suchen, der noch mit mir studiert, das würde besser passen. 1995, inzwischen ging es um meinen Abschlussfilm, hat der dann zugesagt, und wir haben „Das Glück meiner Schwester“ gedreht. Ich wusste damals vor allem sehr genau, was ich nicht wollte, ich hatte eine tiefes Misstrauen gegenüber Gewissheiten und Fertigkeiten und empfand das, was mir vorschwebte und was zu meinem ersten, langen Film werden sollte, als äußert fragil und leicht zu zerstören. Wenn ich versucht habe, Reinhold die Bilder oder das Licht zu beschreiben, das ich meinte, geschah das mit einer für ihn sicherlich anstrengenden Mischung aus Sturheit und Unerfahrenheit. Er hat mit großer Ruhe und Geduld reagiert, er hat mich sozusagen nicht im Dunkeln gelassen über das, was er betreibt mit dem Licht, so lange, bis ich sicher war, dass es auch das ist, was ich wollte.

Ich wollte natürliches Licht, und es dauerte eine Weile, bis ich mit Reinholds Hilfe herausfand, dass ich damit meinte, er solle nicht die Handlung fotografieren, die ich inszenierte, sondern das Licht selbst. Das ist etwas ganz anderes, und Reinhold ist dazu in der Lage, er fotografiert das Licht und gibt den Bildern dadurch eine Bedeutung, die über das, was mit Dialogen und Handlung erreicht werden kann, hinaus geht zu dem, was wir eigentlich suchen. Es ist das, was den Film ausmacht. So hat er mir dazu verholfen, langsam ruhig zu werden und sicherer. Ich wusste, wenn nach langer Suche nach der richtigen Einstellung die Kamera dann endlich lief, dass sie ruhig weiterlaufen kann, lange. Dass Ruhe eintritt, Gelassenheit, in der die Dinge passieren können. So entstanden die ganzen langen Einstellungen, das viele Geschehen im Off, einfach durch die Sicherheit, dass er das richtige Bild gefunden hat und wir eine Weile kein anderes brauchen. Es entstand die Fokussierung auf den Raum und auf die Architektur, die das Leben darin erst ermöglicht und ihm Selbstverständlichkeit gibt.

Dass wir zusammen etwas suchen, das ist bis heute so geblieben. Auch wenn es sich dabei um eine Suche nach Bildern handelt, weiß ich immer, dass Reinhold nie um des Bildes selbst willen dreht, sondern immer, um einen notwendigen Ausdruck für den Teil eines Ganzen zu finden, dessen Sinn sich womöglich erst am Ende der Arbeit erschließt.

Aus diesem Aspekt der Suche mag man verstehen, dass wir uns nie ein Konzept zurechtlegen konnten oder wollten, an dem entlang wir unsere Filme drehen und aus dem sich die Bilder dann irgendwann zwangsläufig ergeben, sondern dass es vielmehr darum geht, zu so etwas wie einer gemeinsamen Intuition zu gelangen, die sich durch Worte oft nicht beschreiben lässt. Eine gemeinsame Intuition, das ist schwierig. Wir haben also trotzdem viele Worte benötigt, wir haben sehr viel geredet und reden immer noch sehr viel, und dieses Reden geschieht mit absoluter Freiheit und Furchtlosigkeit. Das bedeutet, es gibt keinerlei Sorge, dem anderen etwas beweisen zu müssen, alles Unfertige, was mir nur irgendwie dämmert, wofür ich aber noch keine Lösung weiß, alles Assoziative, dessen Ursprung ich manchmal nicht mal kenne, also alles, was nur Ahnung oder Wunsch ist, lässt sich mit Reinhold besprechen, ohne Sorge, nicht gehört zu werden. Reinhold hält erst mal nichts für unmöglich. Ich erinnere mich nicht, dass er je gesagt hat, das geht nicht, wahrscheinlich nicht mal: Das verstehe ich nicht. Er ist in der Lage, einen Regisseur zu verstehen, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich dieser selbst oft noch nicht richtig verstanden hat. Das ist eine ziemlich glückliche Erfahrung.

Dazu kommt, dass Reinhold, abgesehen von seinem zuverlässigen Auge für den Ausschnitt und das Licht, zwei Eigenschaften vereint, die sich oft eher ausschließen: absolute Offenheit bei gleichzeitiger Unbestechlichkeit. In seiner Unbestechlichkeit ist er sehr respekteinflößend, und ich finde es bemerkenswert, nicht den gegenseitigen Respekt verloren zu haben, in so vielen Jahren der Zusammenarbeit, in denen man älter geworden ist und sich kennengelernt hat, notgedrungen auch in vertrackten und manchmal aussichtslos erscheinenden Situationen von Drehs.

Was ich noch gerne erzählen möchte: Reinhold sagt zu Beginn einer jeden Arbeit, wenn ich mich mit ihm treffe mit einem neuen Buch: „Wollen wir jetzt mal alles völlig anders machen?“ Ich sage dann: „Ja“. Es ist so ein toller Gedanke, mal alles völlig anders zu machen, und dann sind wir eine Weile in einem Zustand, der so flüchtig ist wie kostbar, und alles ist möglich. Wozu das dann führt, das ist unklar, aber ich weiß, wir wollen es uns ermöglichen, wir wollen uns nicht daran hindern. Man kann sich mit Reinhold immer wieder aufs Neue infrage stellen, ohne in Panik zu geraten, das ist entscheidend und notwendig und dafür bin ich besonders dankbar.

Jetzt ist es sehr ernst geworden, und es fehlen die Anekdoten, die das Ganze ein bisschen lustig machen, aber da ist mir nichts eingefallen. Wir sind leider beide keine Komiker, und ich hoffe, Reinhold hat in den vielen anderen Filmen, denen er zu Kraft und Ausdruck verhilft, mehr zu lachen. In diesem Sinne und in dem Bewusstsein, dass wir heute einen sehr besonderen Menschen und großartigen Kameramann ehren: Herzlichen Glückwunsch, Reinhold.