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Archiv-Artikel

Das historische Nein von Straßburg

EU Das Europaparlament lehnt erstmals den von den Staatschefs vorgelegten Etat ab. Ein Dämpfer für Merkel

„Wir wollen als Partner ernst genommen werden“

MARTIN SCHULZ (SPD), PRÄSIDENT DES EU-PARLAMENTS

AUS STRASSBURG ERIC BONSE

Erst haben sie gekungelt, dann geworben, schließlich gedroht. Mit aller Macht versuchten Angela Merkel und die anderen 26 EU-Chefs, ihren umstrittenen Kompromiss zum EU-Budget durchzupauken. Doch das Europaparlament ließ sich nicht einschüchtern. Mit 506 von 690 Stimmen haben die Abgeordneten am Mittwoch in Straßburg Nein gesagt – und damit ein neues Kapitel in der EU-Geschichte aufgeschlagen.

Denn gestern haben sich nicht nur Vertreter der Linken, Sozialdemokraten und Grünen gegen Merkels Schrumpf-Budget aufgelehnt, das die Kanzlerin in zwei EU-Sondergipfeln mit dem britischen Premier David Cameron durchgeboxt hatte. Auch Abgeordnete von CDU, CSU und FDP sagten Nein. Nun müssen die EU-Chefs, vertreten vom irischen Ratsvorsitz, in Nachverhandlungen eintreten.

Merkel & Co. haben nicht mehr das letzte Wort, sie müssen mit den EU-Volksvertretern feilschen: Das hat es so noch nicht gegeben. Möglich macht es der Lissabon-Vertrag, der dem Parlament ein Mitentscheidungsrecht bei den Budgetverhandlungen einräumt. Das wussten die Chefs zwar schon vorher – schließlich haben sie den Vertrag selbst konzipiert. Doch sie haben die Abgeordneten übergangen, und das rächt sich nun.

„Wir wollen als Partner ernst genommen werden“, sagte Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) nach der historischen Abstimmung. „Wir wollen nicht zu einer Defizitunion werden“, fügte er süffisant hinzu. Ausgerechnet Merkel und ihre konservativen Partner, die sonst so erbittert gegen Budgetlöcher kämpfen, hatten einen unausgeglichenen EU-Haushalt vorgelegt. Für die Jahre 2014 bis 2020 stehen Ausgaben in Höhe von 960 Milliarden Euro nur Einnahmen über 908 Milliarden gegenüber.

Zudem haben die EU-Chefs ihr Versprechen gebrochen, mehr für Wachstum und Arbeitsplätze zu tun. „Die Umsetzung ist zu niedrig und zu langsam“, kritisierte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gestern. Zwar hatte die EU im Juni 2012 einen Wachstumspakt beschlossen, doch die vorgesehenen 120 Milliarden Euro wurden bis heute nicht bereitgestellt. Schon im EU-Haushalt für das letzte Jahr war nicht genug Geld da. Die „haushaltspolitische Schrumpfkur“ sei viel zu weit gegangen, kritisierte die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen im EP, Helga Trüpel. Während das EU-Budget von 2013 auf 2014 um rund 8,4 Prozent sinkt, solle der deutsche Bundeshaushalt im gleichen Zeitraum um rund 0,3 Prozent steigen. „Gerade in der aktuellen Krise müssen wir in Europas Zukunftsfähigkeit investieren“, forderte Trüpel.

Beim Haushaltsrahmen für 2014 bis 2020 sind sich alle Fraktionen einig, dass es mehr Flexibilität bei den jährlichen Ausgaben und eine Revisionsklausel für spätere Korrekturen geben muss. „Investitionen in Innovation, Forschung, Entwicklung, Infrastruktur und Jugend“ müssten deutlich erhöht werden, verlangen die Abgeordneten.

Damit gehen sie nun in die Verhandlungen mit dem Ministerrat. Der irische Vorsitz möchte die Gespräche noch vor der Sommerpause abschließen. Doch die Parlamentarier haben es nicht eilig. Sie wissen nur zu gut, dass im Herbst ein neuer Bundestag gewählt wird. Kurz vor der Wahl, so hoffen manche, könnte Merkel kompromissbereiter sein.

Und wenn nicht? Dann könnte die EU in Finanzierungsnöte geraten. Denn die EU-Kommission braucht mehrere Monate, um ihre Projekte und Programme vorzubereiten. Den Haushaltern in Brüssel droht ein heißer Sommer.