Walzer mit dem Tod

Der Versuch, ein bisschen Kultur in den Möchtegern-Künstler Adolf Hitler zu pressen: Michael Witte inszeniert George Taboris Farce „Mein Kampf“ am Theater Oberhausen – und teilt das Publikum

VON PETER ORTMANN

Regisseur Michael Witte teilt sein Publikum. Trotz Einheitspreis. Ein paar Besucher dürfen in voluminösen Sesseln sitzen, der Rest muss George Taboris Farce „Mein Kampf“ gepfercht auf zusammengeknoteten Holzstühlen über sich ergehen lassen. Tolle Idee – wenn man nicht wie im richtigen Leben auch auf dem Schemel sitzen muss.

Der Kampf von Koscher-Koch Lobkowitz und dem jüdischen Bibelvertreter Schlomo Herzl, im Wiener Männerwohnheim ein bisschen Kultur in den blutjungen Möchtegern-Künstler Adolf Hitler zu pressen, beginnt bereits nach dem Kartenabriss auf dem nasskalten Hof vor dem Oberhausener Studio 99. Hier scheinen alle Besucher noch gleich, frei und brüderlich, bis auf die Insider, die um die Hosenboden-Ungleichbehandlung im Theater wissen und sich Pelzkragen behangen bereits gegen eine Feuerleiter schubsen, die nur wenige in die gesellschaftliche Upperclass führt. Die Letzten beißen wie immer die Hunde. Und die Welt oben ist zu Anfang auch noch Trockeneis-vernebelt.

Dann taucht die österreichische Witzfigur aus Braunau am Inn auf. Martin Müller als Adolf zum Piepen, mit zu breitem Schnurrbart, in zu dünnen Klamotten, mit merkwürdigen Ansichten und einer angeborenen Hysterie in Sachen Hühnerkacke. Der kleine Hitler ist noch weit entfernt vom Führer-Denkmal, ein Psychopath war er dennoch bereits. „Als die Mutter starb, hatte das Schicksal in einer Hinsicht bereits seine Entscheidung getroffen. In deren letzten Leidensmonaten war ich nach Wien gefahren, um die Aufnahmeprüfung in der Akademie zu machen. Ausgerüstet mit einem dicken Pack von Zeichnungen hatte ich mich damals auf den Weg gemacht, überzeugt, die Prüfung spielend leicht bestehen zu können“, schreibt Adolf Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“. Der jüdische Theaterregisseur George Tabori (91) machte aus dieser Anekdote im Jahr 1987 seine Komödien-Farce. „Es gibt Tabus, die zerstört werden müssen, wenn wir nicht ewig daran würgen sollen,“ sagte er damals und nannte das Stück einen „theologischen Schwank“.

Heute wirkt das schenkelklopfende Gelächter des Publikums bereits wieder etwas befremdlich. Liebenswerte Lebenskünstler wie die beiden Juden, die mit Hitler damals einen Raum, Decken, ja selbst den Wintermantel teilen, die sich für Musik, für gutes Essen und Fleischeslust interessieren, hätten es auch in der heutigen Gesellschaft schwer: während gut verdienende Politclowns immer noch ihren Weg über Leichen machen, ohne dass die, die in den Sesseln sitzen, etwas dagegen unternehmen würden. Am Ende der Inszenierung mit splitternackter Muse am Cello (Linde Engelhardt darf so als einzige natürlich spielen), mit echtem Prachthahn, der bei der Premiere wohl Durchfall hatte und einem modernen Klo mit Durchgang, holt sich der weibliche Tod den kleinen Hitler-Wicht und macht aus ihm ihren geliebten Würgeengel und Sensebengel: „Ein Naturtalent“ eben.

Das darf sich dann mit einer Blut- und Ekel-Hahnschlächterei einführen, sehr zum seelischen Leidwesen von Mutter und Tochter auf der vordersten Bequem-Couch. Wenn der Massenmord beginnt, gibt es eben keine guten Plätze mehr – auch eine Lehre. Schlomo (ganz wunderbar: Marek Jera), der den Knaben ins Leben gepäppelt hat, muss endgültig passen: „Ich war zu dumm, zu wissen, dass manche Menschen Liebe nicht ertragen können.“

6. + 10. Dezember 2005, 19:30 Uhr Theater Oberhausen, Studio 99Karten: 0208-85780