Der Strom kommt nicht aus der Steckdose

Im Münsterland betreibt das deutsch-niederländisch-britische Joint-Venture Urenco Deutschlands einzige Urananreicherungsanlage – wenn Strom fließt

„Gronau bekommt den Speck, und Ahaus den Dreck“

AUS GRONAUANDREAS WYPUTTA

Die Zentrifugen der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau standen am Samstag, um 13 Uhr 40 still: Wie das Westmünsterland war auch die Atomfabrik der Urenco Deutschland von den Stromausfällen getroffen. „Alle sicherheitstechnisch bedeutsamen Systeme werden bei der Urenco durch unterbrechungsfreie beziehungsweise Notstromversorgung betrieben, so dass zu keinem Zeitpunkt Auswirkungen auf Mensch und Umwelt möglich waren“, versicherte die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in einer Presseerklärung umgehend. Wer genauer nachfragt, bekommt unterschiedliche Angaben.

60 Stunden reiche der Diesel für die Notstromaggregate, sagt Urenco-Sprecher Reimund Weber – ohne Nachlieferung wären also am vergangenen Dienstag morgen, 1 Uhr 40, alle Lichter ausgegangen. Was dann passiere? „Unredlich“ findet Weber diese Frage. „Es handelt sich um eine reine Hypothese“, sagt der Sprecher. „Wir haben schon am Montag eine Diesel-Nachlieferung bekommen, waren völlig auf der sicheren Seite.“ Die Urananreicherungsanlage sei „automatisch in einen sicheren Zustand“ heruntergefahren worden, versichert er. Schwierigkeiten seien nicht aufgetaucht: „Wir hatten genügend Notstromaggregate da, auch von unserer betriebsinternen Baustelle. Und die Stadt Gronau hat uns auch noch welche zur Verfügung gestellt“, so Weber.

Kurz darauf meldet sich Joachim Ohnemus. Der Geschäftsführer der Urenco Deutschland dementiert seinen eigenen Pressesprecher. Zwar reiche der Dieselvorrat für 60 Stunden, doch seien nicht alle Aggregate für eine Notstromversorgung nötig. „Fünf bis sieben Tage“ könne die Urenco ohne Diesel-Nachlieferung überbrücken, sagt Ohnemus. Was aber, wenn die Tanklastwagen wegen heftigen Schneefalls wie nicht durchkommen würden? Ohnemus stockt: „Dann müsste die Bundeswehr eingesetzt werden“, sagt der Mann, der den Betrieb der Atomfabrik verantwortet. Notfalls müsse seine Anlage „mit Hubschraubern“ aus der Luft mit Sprit versorgt werden.

Ohnemus‘ Ahnungslosigkeit steht für die Sorglosigkeit, mit der Gronau und Umgebung mit seinen Atomanlagen lebt. In Ahaus, 20 Kilometer weiter südlich, stehen Atommüll-Castoren im Zwischenlager. Wenige Kilometer nördlich, im niedersächsischen Lingen im Emsland, stehen zwei Atommeiler – und Deutschlands einzige Fabrik für atomare Brennstäbe. Dennoch hat es in Gronau kaum größere Proteste gegen die Urananreicherungsanlage gegeben, sagt Udo Buchholz vom örtlichen Arbeitskreis Umwelt. „Urenco hat es geschafft, die Atomanlage als Chemiefabrik zu verkaufen, klagt der Umweltaktivist, der für die grün-alternative Liste im Rat sitzt: „Ahaus kriegt den Dreck, Gronau den Speck, hieß es in den Siebzigern, als für die Ansiedlung geworben wurde.“

Deutschlands einzige Urananreicherungsanlage, die derzeit 14 große Atomkraftwerke mit spaltbarem Material versorgen kann, steht scheinbar friedlich mitten im Gronauer Industriegebiet. Eingerahmt wird sie vom Lebensmittel-Zentrallager der mittelständischen „K&K“-Märkte der Einzelhändler Klaas & Kock und dem Technischen Überwachungsverein. Viel zu sehen gibt es nicht: Geschützt durch meterhohe Zäune und Erdwälle, überwacht durch Kameras surren in einer Betonhalle tausende Zentrifugen, reichern das für den Betrieb der Atomkraftwerke notwendige Uranisotop 235 an (siehe Kasten). In weiten Teilen gleicht das Gelände einer Baustelle: Noch im Februar hat ausgerechnet die rot-grüne Landesregierung den massiven Ausbau der Anlage genehmigt. Statt 14 wird Urenco bald 35 Atommeiler mit Atombrennstoff versorgen können. Dabei zweifeln Kritiker wie Buchholz an der Sicherheit der Anlage: Gegen einen Flugzeugabsturz etwa sei die UAA nicht geschützt – unter freiem Himmel lagern bis zu 38.000 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid in Fässern, von der Umgebung nur durch 16 Millimeter Stahl getrennt.

Kritisches ist dennoch kaum zu hören. „Sehr wichtig“ sei die Urenco für Gronau, sagt Stadtsprecher Thomas Albers. Die Firma bietet nicht nur 181 zum Teil hochqualifizierte Arbeitsplätze, sondern zählt mit geschätzten einer Million Euro auch zu den größten Gewerbesteuerzahlern der Stadt. Die kann das Geld gut brauchen, leidet noch immer am Zusammenbruch der Textilindustrie Anfang der achtziger Jahre, der die Arbeitslosigkeit zeitweilig auf über 25 Prozent trieb.

Gleichzeitig betreibt die Leitung der Urananreicherungsanlage eine aggressive Öffentlichkeitsarbeit: „Hier gibt es kaum einen Verein, kaum eine Gruppe, die noch kein Geld von Urenco bekommen hat“, sagt der Soziologe Buchholz. „Wenn du Geld brauchst, geh‘ zu Urenco, sagen die Leute hier.“ Jüngster Erfolg: Urenco wurde mit einem „Ethik-Preis“ der dubiosen Initiative „Ethics in business“ ausgezeichnet, für die auch „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert Werbung macht. Was genau an der Arbeit der Firma aber besonders ethisch sein soll, kann die Initiative nicht erklären: Das Uran, das in Gronau weiter verarbeitet wird, stammt auch aus Minen in Namibia, wird dort von Arbeitern unter völlig unzureichenden Sicherheitsstandards gefördert, kritisiert nicht nur der Bund für Umwelt und Naturschutz. Unklar bleibt auch die Entsorgung: Noch immer liefert Urenco abgereichertes Atommaterial zur Wiederanreicherung in alte russische Atomanlagen. Was aber dort mit dem Material, das nach der Wiederanreicherung theoretisch wieder nach Gronau geschafft werden soll, geschieht, will Urenco-Geschäftsführer Ohnemus nicht genau wissen: „Es kann sein, dass wir auch Natururan zurückbekommen. Wir liefern Behälter hin, und wir bekommen Behälter zurück.“