: Das verhüllte Antlitz der Stadt
SANIERUNG Durch energetische Sanierung verschwinden alte Backsteinfassaden hinter Plastiktapeten. Dabei ließe sich Denkmal- mit Umweltschutz vereinen
VON JAN LUBITZ
Der Backstein ist in Norddeutschland ein alter Bekannter. Sein Anblick ist hier so üblich, dass er als selbstverständlich betrachtet wird. Dabei ist der zeitgenössische Backsteinbau jünger als man denkt. Gerade einmal rund 100 Jahre haben gereicht, um ganze Stadtbilder zu prägen.
In den natursteinarmen norddeutschen Landstrichen wird der Backstein, ein aus Lehmboden gebranntes Kunstprodukt, seit Jahrhunderten genutzt, hauptsächlich aber als Konstruktionsbaustoff. Er galt als ärmlich, wogegen Putz- und Natursteinfassaden der Inbegriff von Wohlstand waren. Bis in die Kaiserzeit war der Backstein deshalb wenigen Bauaufgaben wie Kirchen, Wohlfahrtsbauten oder dem aufkommenden Industriebau vorbehalten.
Erst mit der ab 1900 aufkeimenden Reformarchitektur änderte sich diese Haltung. So suchte der legendäre Hamburger Baudirektor Fritz Schumacher im Backstein „Etwas Herbes, Strenges“, wie er in seinen Lebenserinnerungen äußerte, „von dem man das Gefühl haben mußte, daß Nebel und Seewind ihm nichts anhaben können“. Neben sentimentalen Motiven schätzte er am Backstein pragmatische Reformaspekte wie die handwerkliche Verarbeitung, die lebhafte Farbigkeit und die Fähigkeit zur rhythmischen Gliederung großer Wandflächen. Auch in der anbrechenden Moderne wurde der Backstein, das kleinste Fertigteil der Welt, darum geschätzt. Im gesamten norddeutschen Raum schufen Architekten damals Meisterwerke der Backsteinarchitektur.
Dieses Erbe ist heute stark bedroht. Der Klimaschutz zwingt zunehmend zu rigiden Maßnahmen, wodurch die energetische Altbausanierung verstärkt in den Fokus des Interesses gerät. Über die SAGA GWG, die stadteigene Hamburger Baugenossenschaft, sagt Anja Hajduk (GAL), Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt: „Der Einsatz des Unternehmens für den Klimaschutz ist ein entscheidender Baustein der Hamburger Klimaschutz-Strategie. SAGA GWG hat mit erheblichen Investitionen die CO2-Emissionen des Gebäudebestands bereits um 40 Prozent gegenüber 1990 gesenkt.“
Im Spannungsfeld zwischen Klimaschutz, Denkmalpflege und dem Erhalt des sozialen Mietergefüges muss manchmal die Architektur leiden. Denn um ihre günstigen Mieten zu halten, können Baugenossenschaften Sanierungsmaßnahmen oft nur durchführen, wenn öffentliche Förderprogramme genutzt werden. Diese sind jedoch an die Auflagen der aktuellen Energieeinsparverordnung gekoppelt, die für Altbauten kaum erfüllbar sind. Schon manche Backsteinfassade ist darum hinter der Tapete eines Wärmedämmverbundsystems verschwunden.
Und das hat gravierende Folgen für die architektonische Wirkung der Gebäude. Nicht nur die Textur der Backsteinflächen mit ihrem kleinteiligen Fugennetz und der charakteristischen Farbigkeit geht verloren, auch die Proportionen ändern sich. Flächenbündig liegende Fenster werden durch neue Vorsatzschalen zu reliefbildenden Höhlen degradiert. Und die solide wirkende steinerne Haptik von Backsteinbauten wird von hohl klingenden Plastikflächen abgelöst. Ganze Stadtteile drohen durch eine gut gemeinte Sanierungswut ihren originären Charakter zu verlieren.
Allmählich gerät dieser schleichende Prozess in das öffentliche Bewusstsein. So will der Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter demnächst eine Kartierung aller Backsteinbauten in der Stadt vorlegen und damit ihre identitätsstiftende Wirkung verdeutlichen. Immer klarer wird, dass eine energetische Sanierung von Altbauten nach aktuellen Kriterien denkmalgerecht kaum möglich ist.
Vielleicht ist sie aber auch gar nicht notwendig. Denn gerade die massiven Backsteinfronten aus der Zeit der Weimarer Republik tragen nur rund 20 Prozent zu den Energieverlusten der Gebäude bei. Mit der Dämmung von Kellerdecken, Dächern und einer effizienten Haustechnik lassen sich demnach bessere Spareffekte erzielen, als mit einer Fassadendämmung.
So ist hier die Politik gefragt, einen Kompromiss zwischen dem Energiesparen und der Bewahrung traditioneller Stadtbilder zu ermöglichen. So ließen sich etwa Förderprogramme auf jene Altbauten zuschneiden, die an den hochgesteckten Standards moderner Neubauten scheitern müssen. Klimaschutz und Denkmalschutz schließen sich nicht notwendig aus: Sie tragen beide auf ihre Weise dazu bei, eine lebenswerte Umwelt zu erhalten.