„Bei DDR gab’s Applaus“

Die Auslosung der WM-Finalgruppen heute Abend in Leipzig kann über den Titel entscheiden. Wie das geht? Das weiß keiner so gut wie Detlef Lange: Er loste 1974 als Elfjähriger die DFB-Auswahl zum Titel

INTERVIEW GUNNAR LEUE

taz: Herr Lange, haben Sie einen Tipp für Lothar Matthäus, der unter anderem heute Abend die Finalgruppen auslosen wird?

Detlef Lange: Sie meinen, weil ich 1974 die BRD und die DDR zusammen loste, woraufhin die DFB-Auswahl letztlich in die günstigere Zwischenrunde kam und Weltmeister wurde? Das war Glück. Aber es stimmt, selbst Franz Beckenbauer hat gesagt, dass wir ohne die Niederlage gegen die DDR vielleicht gar nicht ins Finale gekommen wären.

Wie sind Sie denn Glücksbote geworden?

Das WM-Organisationskomitee suchte einen Jungen mit Bühnenerfahrung. Angeblich hatten die Herren vom DFB in einer Illustrierten ein Bild von den Schöneberger Sängerknaben entdeckt und gemeint, der kleine Blonde in der ersten Reihe wäre genau der Richtige, und haben mich ausgesucht.

Sie waren nicht mal Fußballspieler?

Nein. Ich wollte zwar wie jeder Junge, hatte aber keine Zeit wegen der vielen Proben und Auftritte mit dem Chor. Wir waren ja viel in der Welt unterwegs. Nur kurz vor der Weltmeisterschaft, da spielte ich ein halbes Jahr bei Preußen Wilmersdorf.

Wurden Sie auf Ihren Auftritt, der immerhin weltweit übertragen wurde, besonders vorbereitet?

Eigentlich nicht. Ich bin da am Freitagabend hingeflogen, habe im Hotel übernachtet und am Sonnabend ausgelost. Nicht mal meine Eltern sind mitgereist, nur die Frau unseres Chorleiters und ein Ersatzjunge von den Sängerknaben, falls mir schlecht geworden wäre. Bei einer Generalprobe wurde mir erklärt, wie die Ziehung der Lose abläuft. Danach ging’s gleich wieder zurück.

Das war alles?

Naja, immerhin hatte ich mir noch Autogramme von Fritz Walter, Franz Beckenbauer und Helmut Schön geben lassen, die ebenfalls im Zuschauerraum saßen. Später wurde ich noch ein bisschen herumgereicht. Ich konnte zum Beispiel das Trainingscamp der Chilenen in Berlin besuchen.

Sie waren berühmt?

Ich würde sagen, ein bisschen bekannt. Der Oberbürgermeister von Dortmund hatte mich zum Beispiel zur Partie Brasilien gegen Holland eingeladen, aus Dankbarkeit, weil ich seiner Stadt mehrere Topspiele zugelost hatte. In der Halbzeitpause stellte man mich auch kurz den beiden Außenministern Genscher und Kissinger aus den USA vor.

Wenn man sich die Auslosung heute ansieht, wirkt sie sehr steif.

Ja, da gab es kein Showprogramm wie heute. Auf dem Podium saßen lauter Herren mit dunklen Anzügen, die meist genauso ernst blickten, wie die ganze Zeremonie ablief. Ich wurde nicht mal vorgestellt, sondern einfach auf die Bühne geholt, und los ging’s. Nach einer halben Stunde war die Auslosung vorbei.

Hatten Sie keine Angst, etwas falsch zu machen?

Während ich hinter den gläsernen Lostöpfen stand, flüsterte mir der Ziehungsleiter Dr. Käser vom DFB, der direkt neben dem damaligen Fifa-Präsidenten Sir Stanley Rose saß, immer zu, aus welchem Topf ich jetzt ein Los ziehen solle. Einmal gab es Raunen und sogar Applaus – als ich die DDR in die Gruppe mit der Bundesrepublik loste.

Was dachten Sie über das Los, das Sie gezogen hatten?

Tatsächlich hatte ich mir das vorher gewünscht. Ich fand, dass es doch alles Deutsche seien, auch in der DDR. Ich besaß zwar keine Verwandten dort, aber das Warten an der Grenze, wenn wir in Urlaub fuhren, nervte mich immer tierisch. Jedenfalls wurde ich auf das DDR-Los sehr oft angesprochen.

Gab es auch dumme Sprüche, nachdem die Westdeutschen das Spiel verloren?

Nein. Alle meinten, dass wir nun wenigstens in der leichteren Zwischengruppe wären.

Denken Sie manchmal, dass Sie einen heimlichen Anteil am WM-Titel 1974 hatten?

Nein, aber ich habe mich natürlich sehr gefreut. Von Bundestrainer Helmut Schön besitze ich allerdings noch einen Brief, in dem er sich für eine Platte bedankte, die wir als Schöneberger Sängerknaben vor dem Turnier eingesungen und ihm als Glücksbringer geschickt hatten. In dem Lied „Mit etwas Taktik, mit etwas Glück, hol’n wir den Weltmeister zurück“ sang ich als Erster Sopran die Solostrophen.

Hat sich die Platte gut verkauft?

Weiß ich nicht. Mein Lohn war jedenfalls eine Box mit 20 Singles, die ich alle verschenkt habe und die jetzt vielleicht über einen gewissen Sammlerwert verfügen.

Werden Sie nächstes Jahr bei der WM live zuschauen?

Nein, nur im Fernsehen. So ein riesiger Fußballfan bin ich nun auch wieder nicht.