: Kauzige Parapsychologen
AVANTGARDE-ELEKTRONIK Genial-wahnsinnig waren die Konzepte des Duos Matmos schon immer. Auf ihrem neuen Album „The Marriage of True Minds“ geht es nun um Telepathie
VON ROBERT MATTHIES
Dass ihre kauzigen Konzepte stets auf der viel beschworenen Grenze zwischen Genie und Wahnsinn balancieren, ist man vom US-amerikanischen Avantgarde-Elektronik-Duo Matmos gewohnt. Seit den 90ern bastelt das nicht von Ungefähr nach jenem bösartigen Lava-Schleim aus Roger Vadims Bad-Taste-SciFi-Film „Barbarella“ benannte Duo aus allerlei ungewöhnlichen Klangquellen eine eigenwillige Form experimentell-elektronischer Musique concrète, die spätestens, seit Björk die beiden 2001 als Produzenten ihres verspielten vierten Albums „Verspertine“ angeheuert hat, auch jenseits eines auf Abstrakt-Elektronik spezialisierten Publikums für Furore sorgt.
Für „A Chance to Cut Is a Chance to Cure“ bastelten Martin C. Schmidt und Drew Daniel 2001 Geräusche aus dem Operationssaal mit gut gelaunten Technobeats zusammen, „The Civil War“ führte zwei Jahre später Schlachtfeld-Samples mit Dudelsäcken, Flöten und Trommeln zusammen, auf „The Rose Has Teeth in the Mouth of a Beast“ widmete sich das Duo, das auch privat ein Paar ist, in elf Songs jeweils einer homosexuellen Persönlichkeit, von Ludwig Wittgenstein über Beatnik-Autor William S. Burroughs bis zur Punk-Legende Darby Crash.
Nun also Telepathie. Vier Jahre haben Schmidt und Daniel für „The Marriage of True Minds“ nach Eigenaussage in einem parapsychologischen Experiment Klänge gesammelt, indem sie befreundete Testsubjekte sensorisch depraviert, ihnen die Augen verbunden und die Ohren mit weißem Rauschen aus Kopfhörern beschäftigt haben, während Drew Daniel telepathisch das Konzept der Platte übermittelt habe. Was währenddessen in ihren Köpfen vor sich ging, sollten die Testsubjekte laut aussprechen, aus den Transskripten schließlich sind die poetischen und konzeptuellen Partituren für neun Songs entstanden.
Haben die Testsubjekte etwa gesummt, wurde daraus eine Melodie. Haben sie eine Handlung beschrieben, mussten Matmos diese nachstellen und haben die dabei entstandenen Geräusche gesammelt. Aus beschriebenen Bildern wurde Arrangements für Klangcollagen oder Ideen für Instrumente herausgearbeitet.
Das Ergebnis aber klingt bei weitem nicht so verkopft und unnahbar, wie man annehmen möchte. Erstaunlich leichtfüßig kommt das nun beim Avantgarde-Label Thrill Jockey erschienene Album daher. Die Richtung gibt schon der Opener „You“ vor, ein dekonstruiertes Cover eines Songs von Leslie Weiner und Palais Schaumburgs Holger Hiller: Zu minimalistischem Klavier gesellt sich ein Bass, den Jason Willett (u. a. Half Japanese) auf einem Gummiband gespielt hat, den Beat haben Matmos aus den Geräuschen eines auf Stein tanzenden Stepptänzers gebastelt, rundherum klickert und klackert es sieben Minuten lang, dazu das erste Mal so prominent geflüsterte Sprache unter anderem von der Hypnotherapeutin und Experimental-Vokalistin Carly Ptak.
„Mental Radio“ wiederum verknüpft ausgelassene Latin-Perkussion mit dem Gluckern und Platschen von Wasser in einem Eimer, bevor Free-Jazz-Hörner und Feuerwehrwagen die Regie übernehmen. „Tunnel“ überführt Kehlkopfgesang des Baltimorer Pop-Weirdos Dan Deacon in von Techno untermalte synkopische Bluesgitarren, um im ambientesken Synthiegezerre nebst Husten auszuklingen. Und „ESP“ schließlich ist eine schizophrene Mischung aus Doom-Metal-Grunzen, Spielzeugklavier, IDM-Glitch und Rock’n’Roll, die in puncto humorvoll-versierter Stilbreite ihresgleichen sucht. Ein Klangexperiment, nach dem man gern an Telepathie glauben mag. Zumindest zwischen Martin C. Schmidt und Drew Daniel.
■ Mo, 25. 3., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20