piwik no script img

Archiv-Artikel

Ist Zypern nur der Anfang?Ja

EUROKRISE Plötzlich ist es denkbar, dass die Bürger mit ihrem Ersparten die Banken retten müssen. Auch in Griechenland oder Portugal könnte das der nächste Vorschlag sein

nächste Frage

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante

Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Lisa Fitz, 61, ist politische Kabarettistin, Schauspielerin und Sängerin

Es ist so, als nähme ich einen Kredit fürs Zocken auf und forderte von meiner Putzfrau, ihn 30 Jahre abzuzahlen. Zypern ist nur der Anfang. Zypern hat sich gewehrt. Hätte es das nicht getan, wäre es Role-Model für weitere Länder geworden. Aber wenn die Staaten ihre Schulden aus Missmanagement und Profitgier der Verantwortlichen nicht mehr bezahlen können, dann werden sie die Bürger anzapfen, mit Zwangskrediten auf Eigenheime und Plündern der Sparkonten. Zu oft behielten die rufenden Unken Recht. Die Ziele derer, die uns um unser Geld bringen, sind viel mieser, als wir uns das in unseren übelsten Albträumen ausdenken. Trotzdem dürfen wir das Lachen nicht verlernen – und sei es Galgenhumor. Vielleicht begreifen wir Deutschen ja irgendwann, was Revolution heißt? Immer noch sind wir widerstandslose Gesellen mit aufgeweichten Wirbeln auf eingezogenem Ende.

Christiana Avraamidou, 34, in Athen geboren, zyprische Autorin und Poetin

Zypern ist wie ein Medikament, das erst getestet wird, bevor es auf den Markt geht. Aber macht nur weiter, experimentiert mit der Geduld Zyperns. Die Auswirkungen werden so destruktiv sein, dass die Eurozone selbst in Gefahr sein wird. Findet bitte wieder zu den Anfängen Europas zurück! Erinnert euch an dessen Gründung. Haben davon noch Gesetze und Verträge Bestand – oder war das alles nur Papier? Lasst die Idee nicht sterben! Wenn das, was auf Zypern gerade passiert, sich auf Länder wie Irland oder Portugal ausweitet, verliert die Europäische Union ihr Wesen.

Annamaria Simonazzi, 63, ist Professorin für Wirtschaft an der Universität Sapienza in Rom

Die Entscheidung der Eurogruppe ist ein gefährlicher Präzedenzfall, der das Vertrauen in die Banken und die gefährdeten Länder verringern kann. Denn die Besteuerung von Spareinlagen verführt zu Kapitalflucht und beschleunigt den Zerfallsprozess des Euro. Wenn man gegen Steuerparadiese und Geldwäsche vorgehen will, dann mit ernsthafter Bankenüberwachung und größerer Steuerharmonie. Diese Prinzipien müssten Teil des Vertrags von Maastricht sein. Vertrauen ist das Fundament jedes Finanzsystems, aber es ist ein fragiles Gefühl. Wie konnten Finanzexperten eine Maßnahme zulassen, die so gefährlich für die Stabilität ist? Misstrauen zwischen dem Norden und dem Süden Europas ist die Folge. Die wachsende Unduldsamkeit des Nordens gegenüber den Schwächen und Lastern des Südens befeuert und rechtfertigt politische Entscheidungen, die das Vertrauen in die Gesamtkonstruktion untergraben und sich am Ende gegen alle richten.

Panikos Lasettas, 58 Jahre, lebt und arbeitet als Architekt auf Zypern

Diese Frage muss von allen Bürgern Europas gestellt werden. Denn sobald man darüber nachdenkt, sich an die Konten und Ersparnisse der Menschen heranzumachen, wer kann dann garantieren, dass man es in anderen Staaten der Eurozone nicht nachmacht? Dass dabei die einfachen Menschen betroffen werden und die Wirtschaft Zyperns ruiniert wird, ist den Mächtigen egal. Ich bin empört über den erpresserischen Zynismus der europäischen Partner. Das hat mit solidarischer Hilfeleistung überhaupt nichts zu tun. Man fragt sich auch hierzulande, ob hinter dem Hilfspaket der Troika nicht die Kontrolle über die Erdgasvorkommen und die Zypernfrage steckt. Das klare Nein unseres Parlaments zur Zwangsabgabe, für das wir wahrscheinlich einen hohen Preis zahlen werden, hat den Stolz des kleinen Mannes europaweit gerettet.

Nein

Jörg Asmussen, 46, ist Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank

Zyperns Geschäftsmodell, das einseitig auf einem überdimensionierten Bankensektor beruht, hat das Land in eine Situation gebracht, die es aus eigener Kraft nicht lösen kann. Der Finanzbedarf beträgt rund 17 Milliarden Euro, was nahezu 100 Prozent der dortigen Jahreswirtschaftsleistung entspricht. Allerdings kann nicht der gesamte Finanzbedarf über ESM- oder IWF-Kredite gedeckt werden, denn sie erhöhen den Schuldenstand, was die Schuldentragfähigkeit weiter belastet. Rund sieben Milliarden Euro müssen auf andere Weise aufgebracht werden. Dem Land das Geld einfach zu schenken, wird keine politische Mehrheit finden. Eine realistische Alternative ist, dass Zypern einen Eigenbeitrag leistet, beispielsweise durch Privatisierungen und – weil das alleine nicht ausreichen wird – durch eine einmalige Sonderabgabe auf Einlagen. Wie das gestaltet wird, ist alleinige Sache Zyperns. Die EZB ist mehr als offen dafür, ein Design zu wählen, dass Kleinsparer nicht belastet. Ein Anpassungsprogramm für Zypern ist der Anfang hin zu einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell und daher im Interesse Zyperns und der Eurozone.

Frank Schäffler, 44, FDP, ist Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags

Zypern ist nicht der Anfang und nicht das Ende. Seit dem ersten Schuldenpaket für Griechenland dreht sich die Interventionsspirale immer schneller. Die Eurozone ist in ihrer verheerenden Rettungslogik gefangen. Dieses Ergebnis war vorhersehbar, und ich habe vielfach davor gewarnt. Mindestens leichtfertig haben die Rettungseuropäer die Kriterien von Maastricht und die Nichtbeistandsklausel über Bord geworfen. Es zahlt sich nicht aus, genau die Regeln zu verletzen, die der Eurozone ordnungspolitischen Halt gaben. Nun sitzen die Mitglieder der Eurozone alle an einem Tisch, doch jeder darf nach Belieben Hummer bestellen. Jeder schlemmt und hofft, dass ein anderer die Rechnung zahlt. Das große Fressen wird dann auch nach Zypern weitergehen. Am Ende steht die Vergemeinschaftung aller Schulden durch Eurobonds. Es heißt, das wolle niemand. Wer glaubt das überhaupt noch?

Carsten Schneider, 37, ist haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Es gibt eine Richtlinie der Europäischen Union, die eine Einlagensicherung von Beträgen unter 100.000 Euro garantiert. Diese Garantie wurde durch den Beschluss der Eurogruppe in Zweifel gezogen. Zypern ist ein spezieller Fall, weil das Land einen völlig überdimensionierten Bankensektor hat, der nur durch Notenbankgeld am Leben erhalten wird. Irgendjemand muss nun die Rechnung übernehmen. Dafür muss es eine Beteiligung der Einleger geben, die über 100.000 Euro haben, weil ansonsten die Steuerzahler aus anderen Ländern für die Banken haften, und das ist nicht akzeptabel. Bei einer zyprischen Bank sein Geld anzulegen, bei der man 5 Prozent Zinsen bekommt, birgt ein hohes Risiko. In anderen Ländern zahlen die Banken ihren Kunden nur 1,2 Prozent Zinsen. Dass es in Griechenland und Portugal bald die Forderung geben könnte, auf Einlagen unter 100.000 Euro zuzugreifen, schließe ich aus.

Matthias Burgard, 30, Kulturanthropologe, hat die Frage per Mail beantwortet

Nein, denn die Konstellation ist einmalig: der aufgeblähte Bankensektor, kriminelle Russen und Griechen, die vom Finanzamt verschont wurden, sowie die periphere Lage Zyperns, die uns kalt lässt. Die Berichterstattung über das ausländische, insbesondere russische Kapital in Zypern hat eine Stimmung erzeugt, die Mitleid verhindern sollte.