Panoptikum der Niedertracht

CONTAINERSCHAU Am Schauspiel Köln inszeniert Karin Beier „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ nach einem Film von Ettore Scola. Wie Voyeure betrachten die Zuschauer ein Sittengemälde hinter Glas und finden sich in den Figuren wieder

Das Theater kann sich nur eine pittoreske Vorstellung davon machen, was es heißt, im Slum zu leben

VON ALEXANDER HAAS

Vielleicht war Karin Beier nach etwas mehr Ruhe zumute nach all dem lauten kulturpolitischen Gezerre um den am Ende beschlossenen Neubau des Kölner Schauspielhauses und die ihr drohenden Etatkürzungen (siehe taz vom 7. Januar). Ihre neue Inszenierung, die Uraufführung der Bühnenadaption von Ettore Scolas Filmgroteske „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ aus dem Jahr 1976, zeigt die Intendantin jedenfalls fast tonlos. Die Bühne ist ein hellgrauer, blecherner Wohncontainer, in den das Publikum durch vier große Glasfenster hineinsehen kann. Hören kann es aber nur etwas und auch dann nur undeutlich, wenn die Insassen dieses deprimierenden Armutsghettos der Jetztzeit sich anbrüllen.

Karin Beier mag als Regisseurin die großen Setzungen, um nicht zu sagen Effekte. Zuletzt hat sie den „Lear“ in reiner Frauenbesetzung spielen lassen. Die Inszenierung verlor sich aber eher in anarchischem Chaos, die Ziele des Besetzungscoups blieben verschwommen. Diesmal hat sie einen leichteren Stoff gewählt: Der Filmstoff bleibt weit unter der philosophischen Dimension eines Shakespeare-Stücks. Und wenn man die Theaterfassung auch noch weitgehend ohne Text spielen lässt, bleibt nicht mehr viel – könnte man meinen. Ganz so einfach ist es aber doch nicht.

Scolas Film, in Beiers Fassung mit dem passenden Untertitel „eine bemerkenswert mitleidlose Komödie“ versehen, zeigt eine italienische Großfamilie, die in einem Verhau in einem Slum vor den Toren Roms lebt. Diejenigen davon, die so etwas wie einer Arbeit nachgehen, tun das in Form von Prostitution oder Diebstahl oder beidem. Der Vater ist durch eine Versicherungsentschädigung zu einer Riesensumme Geldes gekommen. Jetzt wollen alle etwas abhaben. Doch Giacinto denkt nicht daran. Die Folge ist ein denkwürdig niederträchtiges Hauen und Stechen um den Mammon. Am Ende stirbt Giacinto fast durch eine groß inszenierte Vergiftung.

Der Film besticht durch seine absolut schonungslose, zugleich aber nie verächtliche Erzählung über die Hackordnung in dieser Familie, in der es nur um Geldgier, Macht und Ausnutzung geht. Zugleich wird man dieser Erzählung – und dieses Problem hat auch Karin Beiers Inszenierung – mit zunehmender Dauer doch etwas überdrüssig, selbst wenn man bisweilen in den Bann der schrillen Gemeinheiten gerät. Doch andererseits hebt die Erzählung so gar nicht den Blick über ihren Gegenstand. Scola stellt nie die Frage, was denn Schlussfolgerungen aus diesen Zuständen sein könnten. Demzufolge fehlen in seinem Film beispielsweise politische Ambitionen.

Für Karin Beiers Inszenierung gilt das noch ausgeprägter. Ihr kommt es nur zum Teil auf den Einzelnen innerhalb dieses Bestiariums an, auch wenn sie manche Charakterprofile und deren Position in der Familie durchaus herausarbeitet. Genauso sehr geht es ihr um die Gesamtschau auf dieses Panoptikum aus Niedertracht, Gier und Machtkämpfen.

Dafür spricht, dass keiner ihrer 15 Schauspieler einen Figurennamen zugeordnet bekommt und dass wir über weite Strecken eben nichts von dem hören, was die Familie im Container redet. Vergleichsweise wenige Szenen spielen vor dem Gehäuse. Und auch die Wahl des Bühnenbilds selbst spricht für das Entwerfen eines Sittengemäldes, weil es der Szene eine Art fotografischen Rahmen gibt. Diese abstrahierende und ausstellende Tendenz mag einerseits Sinn machen, weil eine Gesellschaft wie die des Theaters, also sowohl die Institution als auch das Publikum, sich ohnehin nur eine pittoreske Vorstellung davon machen kann, was es heißt, im Slum zu leben. Die Kehrseite dieser antirealistischen Sicht wirkt aber besonders unangenehm: Die Regisseurin lässt immer wieder eine tief traurig klingende Kastratenarie einspielen, die das Realistische der Szene mit einem Mal aus dem finsteren Alltag hebt und in eine metaphysisch-tragische Perspektive rückt. Das berührt die Grenze zum Kitsch.

Dennoch entfaltet die Inszenierung eine unheimliche Qualität gerade dort, wo Karin Beier auf die individuellen Verwerfungen in der Familie blickt. Das starke Ensemble bringt uns dann die Schmutzigen und Gemeinen eben doch verflucht nahe. Der Zuschauer, der sich im Angesicht des Containers natürlich in einer ebenso dankbaren wie undankbaren voyeuristischen Situation befindet, ahnt in diesen Momenten, dass nicht alles, worüber er sich hier so finster amüsieren kann, in Wahrheit ganz so weit von ihm weg ist.