: „Berlin ist Toilettenhauptstadt“
Nicht alle Räume sind öffentlich, obwohl es auf den ersten Blick so scheint. Das zeigte eine Veranstaltung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Wem gehört der öffentliche Raum?
von Giuseppe Pitronaci
Der Trödler verkauft seine Waren auf dem Bürgersteig. Der Ladenraum dient als Lager. Eine Eisdiele schmückt jeden Tag den Bürgersteig mit Palmen und Deko-Elementen. Und auf einer Parkbank im Kiez haben sich Obdachlose ihr Wohnzimmer eingerichtet. So nehmen sie am öffentlichen Leben teil.
Das sind Beispiele dafür, was öffentlicher Raum im Wrangelkiez am Ostrand Kreuzbergs bedeutet. Anna Bernegg, Stadtplanerin an der TU Berlin, beschrieb diese auf der Veranstaltung „Belebt, beklebt, benutzt: der öffentliche Raum“, zu der die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer (SPD), vergangenen Freitag eingeladen hatte.
Gleich zu Beginn verbreitete Klaus Selle, Professor für Stadtentwicklung an der Technischen Hochschule Aachen, Optimismus: „Wir schaffen neue städtische Räume.“ Er ist überzeugt, dass in den vergangenen Jahrzehnten in den Städten immer mehr öffentlich nutzbare Räume entstanden. Selle ignorierte nicht, dass es sich dabei immer wieder um Shopping-Malls handelt. Aber für ihn zählt, dass jene Orte zahlreicher werden, wo die Bürger hinströmen. Auch wenn es nur zum Shoppen und Konsumieren ist.
Öffentliche und private Räume sind für ihn nicht klar zu trennen. Schon immer habe es in Städten Räume gegeben, die privat sind, aber dennoch öffentlichen Charakter hätten oder umgekehrt. „Öffentlich nutzbar“ kann eben auch privat sein.
Aber nimmt das Private an öffentlichen Orten Überhand? Ist es für einen demokratischen Staat nicht elementar wichtig, dass es eindeutig öffentliche Räume gibt, wo sich jeder aufhalten darf? Solche Fragen kamen nur am Rande vor. Ein Mann aus dem Publikum erinnerte an die Obdachlosen. Private Sicherheitsdienste vertrieben sie häufig von Orten, die auf den ersten Blick öffentlich scheinen.
Auch Hans Wall sorgt für Orte, die nicht eindeutig privat oder öffentlich sind. Der Unternehmer und Gründer der Wall AG hat in Berlin den öffentlichen Raum mit anthrazitfarbenen Toiletten- und Wartehäuschen bestückt, an denen hell leuchtende Reklame hängt. „Berlin ist die Toilettenhauptstadt der Welt“, sagte er stolz. Und bei solchen Stadtmöbeln sind dann auch „Zerstörung und Graffiti längst nicht so schlimm wie woanders“, war sich Wall sicher.
An der ästhetischen Qualität von Walls Wartehäuschen äußerte jedoch die Senatorin für Stadtentwicklung leise Zweifel: Das „glitzernde leuchtende Taubengrau“ dieser Stadtmöbel sei in immer mehr Städten zu sehen. Diese würden deshalb immer verwechselbarer. Dazu trügen auch die stets gleichen Einkaufsstraßen bei. „Die Kommerzialisierung setzt sich offenbar durch“, stellte sie fest.
Karin Baumert staunt darüber. Die Stadtsoziologin und ehemalige Baustadträtin von Mitte meint, dass Junge-Reyer als Senatorin diese Kommerzialisierung schließlich selbst stoppen könnte. Baumert nutzte die Veranstaltung, um für einen Ort zu werben, in dem viel öffentliches Leben stattgefunden hat: den Palast der Republik. Sie ist aktiv im Bündnis für den Palast und forderte die Senatorin auf, den Abriss zu verzögern. „Im Palast der Republik eignen sich die Bürger öffentlichen Raum an. Die Zwischennutzung könnte weitergehen, solange nicht klar ist, wie ein Nachfolgeprojekt finanziert werden soll“, sagte Baumert.
Junge-Reyer sah das anders. Zwar müsse „die Gesellschaft die Möglichkeit haben, sich sichtbar zu machen“, und zwar jenseits von Konsum und Kommerz. Aber am Schlossplatz will sie das erst, wenn der Palast weg ist. Schließlich hätten die Bürger dann freie Sicht, von den Linden bis zum Alexanderplatz.