: Er kann in die Herzen schauen
HOUSE-LEGENDE Der Detroiter Klangkünstler Theo Parrish zerlegt alte Discostücke und baut sie von Hand wieder zusammen. Wenn er auflegt, treffen sich Tanzwütige jeden Alters und jeder Farbe, die den Groove haben
Die Partyreihe J.A.W. bringt den Meister aus Detroit nach Deutschland. Theo Parrish wird am Donnerstagabend den Festsaal Kreuzberg mit einem heißen DJ-Set aufmischen, zu dem es sich hübsch in den Karfreitag tanzen lässt. Begleitet wird Parrish von Enrico Crivellaro aka Volcov, einem Soul-Disco-Boogie-DJ aus Verona, der bereits als Betreiber von Labels wie Archive, Neroli und Slam Jam von sich hören ließ. Karten nur an der Abendkasse!
■ J.A.W. with Theo Parrish & Volcov: Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130, Donnerstag, 23 Uhr, 12 €
VON ULRICH GUTMAIR
Auf dem Dancefloor toben die Leute. Seit Minuten laufen vier Takte eines alten Funkstücks in der Dauerschleife, aber der Mann am DJ-Pult zieht bloß relaxt an seiner Tüte. Dann dreht er die Bässe raus, lässt die Leute zappeln. Als es keiner mehr aushält, kommen die Bässe plötzlich mit einem fetten Wumms zurück: Ekstase, Geschrei, Seligkeit.
Wenn Gott ein DJ ist, dann ist Theo Parrish sein Prophet. Er kann in die Herzen schauen. Oder auf säkulare Weise formuliert: Theo Parrish beherrscht virtuos die Technik, Menschen zum Tanzen zu bringen. Wenn Parrish auflegt, treffen sich Studenten mit Krankenpflegern, Weiße mit Schwarzen, alte Raver mit jungen Clubbern, die alle miteinander eins gemeinsam haben: Sie wissen, dass Theo Parrish Musik spielt, zu der man extrem gut und ziemlich sexy tanzen kann. Es gibt wenige Momente, in denen man glücklicher werden kann, als zwischen Leuten, die den Groove haben und sich zusammen im Rhythmus von Theo Parrishs Musik bewegen.
Der DJ und Produzent stammt aus der schwarzen South Side von Chicago, wo House erfunden wurde. Heute lebt der 41-Jährige in Detroit, wo sich von Science-Fiction begeisterte Teenager einst Techno ausgedacht haben. Dazwischen hat Parrish in Kansas City Kunst studiert, genauer gesagt Bildhauerei und Video. Parrish schätzt die Kunst von Duchamp und Cage. Seinen Abschluss hat er aber weder im einen noch im anderen Fach gemacht. Abgeschlossen hat er mit einer Thesis in Sound Sculpture. Die Musik, die Parrish selber produziert, lebt einerseits von Schnitten und Wiederholungen, andererseits vom kreativen Umgang mit der Plastizität des Klangs.
Sein letztes Album hieß „Sound Sculptures Vol. I“ und präsentierte ganz unterschiedliche Zugangsweisen, die das ganze Spektrum des House ausloten. Die aktuelle EP „Dance of the Medusa“ spielt mit den Klangfarben von Blasinstrumenten und erzeugt eine Musik, die zwischen Jazz und Polka oszilliert und dabei irgendwann heftig ins Stolpern gerät.
Mitte der Neunziger hatte Theo Parrish damit begonnen, eher minimalistische Houseplatten zu veröffentlichen, auf denen die Beats nicht da sitzen, wo man sie erwartet, und die HiHat oft vollkommen daneben liegt. Als er anfing, seine Musik auf Vinyl zu pressen, war House schon ziemlich out, was Parrish nicht kümmerte. Er ließ Pianos klimpern und legte Loops von geklauten Zeilen aus einem obskuren Song darüber. Er brachte Mix-CDs heraus, auf denen er seine eigenen Platten mit seltsamen Musiken mischte, die sich gleichzeitig sehr alt und sehr frisch anhörten, weil sie an den Rändern von Funk, Disco, New Wave und frühem House entlangsurften, ohne eindeutig irgendeinem Genre zuzugehören. Dann fing Parrish an, Edits zu produzieren. Er zerlegte alte Discostücke und Funk-Songs in ihre Einzelteile und baute sie am Sampler von Hand wieder zusammen. Im Verlauf dieses Prozesses entstehen aus traditionell aufgebauten Songs merkwürdige Hybride. Was zuvor ein wesentlicher Bestandteil war, der Refrain, kommt in Parrishs Edit gar nicht mehr vor, oder erst nach etlichen Wiederholungen, in denen Parrish ein paar Takte endlos in die Länge gezogen hat. Zeitgenössische Tanzmusik kehrt hier zu ihren Ursprüngen zurück, als New Yorker DJs zwischen zwei Kopien derselben Platte hin und her mischten, weil sie ein besonders tanzbares Stück eines Songs möglichst lange ausdehnen wollten.
Theo Parrish hat seine eigene Theorie über die afrikanische Musiktradition entwickelt, in der zwei gegenläufige Rhythmen einen dritten Rhythmus erzeugen. Die Beobachtung, dass Polyrhythmen etwas mit Zeitgefühl und Körper anstellen, was sich nur schwer beschreiben lässt, bringt Parrish zu der Überlegung, dass ebendort das Unbewusste der afroamerikanischen Musik zum Vorschein kommt. Das Schöne an Theo Parrishs eigener Musik ist, dass sie ganz einfach funktioniert. Intuitiv setzt sie Bewegungen in Gang und Gefühle frei. Zugleich ist sie aber auch so kompliziert, dass man in ihr verlorengehen kann, wenn man den rhythmischen Strukturen nachzuhören versucht, auf die man als Tanzender so umstandslos reagiert. Geht also hin und hört den Sound von Theo. Bewegt eure Glieder und lasst die Gedanken schweifen.