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Heftig, aber natürlich

GEBURT Die Wehen gehören zu den intensivsten Schmerzen, die frau erleben kann. Hormone helfen, sie zu überstehen

Infos & Literatur

■ Auf der Webseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) www.familienplanung.de gibt es Informationen zum Thema Schwangerschaft und Geburtsvorbereitung, auch diverse Broschüren zum Download. Literatur zum Thema, unter anderem: Bernhard Schön (Hg.) und Ines Albrecht-Engel (Autorin): „Geburtsvorbereitung und Geburt – Entspannung und innere Balance, Massagen und Atemübungen“, Beltz Verlag 2010, 12,95 Euro, sowie Elke Mattern, Angela Schweer (Autoren): „Schwangerschaft, Geburt & Stillzeit – Die besten Tipps der Hebammen. Geburtsvorbereitung, Kreißsaal-Besichtigung und Baby-Grundkurs“ (mit DVD), Verlag humboldt/Schluetersche 2011, 29,95 Euro.

VON OLE SCHULZ

Wer jemals bei einer Geburt (neben der eigenen) dabei war – und sei es nur als passiver (männlicher) Zuschauer –, der wird das in seinem Leben nicht mehr vergessen. Gerade auch, weil es Stunden dauern kann und die Partnerin dabei oft nie gewesene Schmerzen durchmacht.

Doch warum ist eine Geburt eigentlich so schmerzhaft, wo es sich doch um einen natürlichen Vorgang handelt? Zunächst einmal gilt grundsätzlich, dass die Schmerzen dem Körper signalisieren: Vorsicht, es passiert etwas Ungewöhnliches, das volle Konzentration erfordert. Darum ist laut Hebamme Jana Friedrich die „Wahl des Geburtsortes auch nicht unerheblich“. Frau sollte sich an ihm „geborgen fühlen“ und sich „mit Menschen umgeben, zu denen sie Vertrauen hat“. Ob sie sich für den Kreißsaal, ein Geburtshaus oder das eigene Bett entscheide, müsse jede Schwangere vorab für sich selbst herausfinden.

Die 40-jährige Friedrich, die seit einem Jahr auf ihrer Webseite www.hebammenblog.de über Themen rund um die Geburt informiert, sieht einen weiteren möglichen Grund für die heftigen Wehen in der Evolution des Menschen: Unser aufrechter Gang habe dazu geführt, dass der Beckenausgang enger wurde als bei Säugetieren, die auf allen vieren laufen. „Dadurch ist der Weg unserer Menschenbabys durch das Becken anstrengend und für die Mütter fast immer sehr schmerzhaft.“

Doch keine Angst. Der Gebärenden wird nicht mehr zugemutet, als ihr Körper aushalten kann, zumal Hormone dabei helfen. Oxytocin beispielsweise ist dafür verantwortlich, dass die Geburt beginnt. Durch die Kontraktionen der Gebärmutter während der Wehen wird es dann verstärkt ausgeschüttet. „Oxytocin ist aber gleichzeitig ein ‚Glückshormon‘, das auch beim Sex ausgeschüttet wird“, sagt Friedrich. „Es macht also sowohl Wehen, hilft aber auch gleichzeitig, sie gut zu überstehen.“ Dazu kommen Endorphine, die wie ein körpereigenes Betäubungsmittel wirken. Sie steuern den Schmerz während der Wehen und in den Pausen so, dass er erträglich bleiben kann.

Wie Gebärende die Geburt erleben, ist aber anscheinend zum Teil erblich bedingt. Schließlich werden auch der Körperbau und der Hormonspiegel vererbt. Werdende Mütter sollten sich deshalb in der Familie umhören, wie die Geburten dort verliefen.

„Sich Zeit für die Geburt zu nehmen“ sei vielleicht das Allerwichtigste, sagt Friedrich. Dazu müsse frau sich in den Pausen zwischen den immer stärker werdenden Wehen entspannen und immer wieder bewusst machen: „Jede Wehe bringt mich näher zum Kind.“ Friedrich hat in 13 Jahren Tätigkeit als Hebamme die Erfahrung gemacht, dass sich Schwangere, die sich vorher intensiv mit der Geburt beschäftigen, meist besser mit den Schmerzen umgehen können. Deshalb empfiehlt Friedrich, einen Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen. „Das nimmt viele Ängste, die übrigens ganz normal sind“, und vermittele Strategien, besser mit den Wehen klarzukommen.

Eine gute Vorbereitung ist auch sinnvoll, falls die Schmerzen so stark werden, dass die Gebärende nicht mehr anders kann, als Schmerzmittel zu fordern. Untersuchungen zufolge hatte bis zur Hälfte der Frauen, die während der Geburt Schmerzmittel verlangten, dies zuvor strikt abgelehnt. Entsprechend schlecht waren sie über die Möglichkeiten der Schmerzlinderung informiert. Zu den natürlichen Methoden gehören „Wärme, Massagen, Bewegung und Atmen“, so Friedrich. Allerdings kamen Forscher der britischen „Cochrane Collaboration“ in einer Vergleichsstudie aus dem Vorjahr zu dem Schluss, dass eine schmerzstillende Wirkung nur bei Medikamenteneinsatz sicher belegt ist.

Fast alle Frauen, die ungestört gebären durften, berichten von diesem unglaublichen Glücksgefühl, das mit nichts vergleichbar ist

Dazu zählt vor allem die Periduralanästhesie (PDA). Bei dieser Standardmethode zur Schmerzlinderung wird ein dünner Schlauch im Lendenbereich in den Wirbelkanal der Schwangeren geschoben, der ein lokales Betäubungsmittel abgibt. Doch die PDA hat auch Nebenwirkungen: So verlängert sich durch sie die dritte Geburtsphase, die Pressperiode, im Durchschnitt um rund eine Viertelstunde. Außerdem müssen bei Geburten mit PDA etwas häufiger Geburtszangen oder Saugglocken eingesetzt werden. Friedrich nennt die PDA darum auch „Fluch und Segen“ zugleich, „ohne Not“ solle frau lieber versuchen, auf sie zu verzichten. Laut der Studie der „Cochrane Collaboration“ gibt es zumindest Hinweise, dass zum Teil auch „Wassergeburten, Entspannung, Akupunktur und leichtere Schmerzmittel“ Linderung verschaffen.

Unzweifelhaft ist bei alldem, dass Geburtswehen für Männer eine unbekannte Erfahrung bleiben, wenngleich es immer wieder Versuche gibt, diese extremen Schmerzen nachzuahmen. Vergangenes Jahr waren es die zwei niederländischen Moderatoren Dennis Storm und Valerio Zeno der Fernsehsendung „Proefkonijnen“ („Versuchskaninchen“), die sich einem Experiment mit den Wehen ähnelnden Stromschlägen unterzogen. Zeno brach die Geburtssimulation trotz Einsatz von Lachgas jedoch vorzeitig ab.

Ist das nun ein Beweis dafür, dass Männer doch weniger schmerzresistent sind als Frauen? Oder ist ein solches Experiment, wie es unlängst auch im deutschen Fernsehen bei Sat.1 zu sehen war, einfach nur dämlich? Hebamme Jana Friedrich glaubt jedenfalls nicht, dass sich die Wehen tatsächlich simulieren ließen. „Außerdem nimmt man den Schmerz anders wahr, wenn er keinen Sinn macht.“ Moderator Dennis Storm bekam nach 120 Minuten Tortur von einer Hebamme dann auch nur eine Puppe überreicht – statt eines echten Babys.

Eine Schwangere wird nach überstandener Geburt anders belohnt: Sie kann ihr Kind in die Arme schließen, während ihr Körper mit Endorphinen geflutet wird. „Darum berichten fast alle Frauen, die ungestört gebären durften, von diesem unglaublichen Glücksgefühl, das mit nichts vergleichbar ist“, sagt Hebamme Friedrich.

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