: „Früher individuell fördern“
WIR WOLLEN LERNEN Walter Scheuerl ist gegen die sechsjährige Primarschule
■ 48, ist Rechtsanwalt und Sprecher der Hamburger Elterninitiative „Wir wollen lernen“ gegen die Einführung der sechsjährigen Primarschule. Er ist Vater von zwei Kindern.
taz: Herr Scheuerl, warum ist es für Kinder schädlich, sechs Jahre gemeinsam zu lernen?
Walter Scheuerl: Wir haben in Hamburg im Moment vierjährige Grundschulen, die dazu führen, dass die Kinder am Ende Lernstandsunterschiede bis zu eineinhalb Jahren innerhalb einer Klasse haben. In diesem Zustand ist es weder für die Kinder am unteren Ende noch für die weiter vorne positiv, zwei weitere Jahre mit diesen großen Unterschieden zu lernen.
Das heißt, die Kinder sollten lieber früh getrennt werden, statt dass man den Unterricht in der Grundschule verbessert?
Die Verlängerung der Grundschulzeit ist der falsche Ansatz. Wir müssen anfangen, früher individuell zu fördern.
Wieso ist das ein Widerspruch: früher fördern und länger gemeinsam lernen?
Im Moment werden durch die Behörde, angeführt von Senatorin Goetsch, hunderte von Millionen Euro ausgegeben für Verwaltung und die Umstrukturierung der Klassen fünf und sechs. Diese Mittel gehen für die Förderung verloren.
Vom frühen Übergang aufs Gymnasium profitieren derzeit vor allem Akademikerkinder Die schwarz-grüne Regierung will mehr Gerechtigkeit. Was stört sie daran?
Die Idee der Hamburger Grünen ist, man könne bei der Dauer der Grundschulzeit ansetzen und dadurch soziale Verhältnisse ändern. Das hat mit der Realität nichts zu tun. Kinder lernen immer gemeinsam – in der Klasse, in der sie gerade sind.
Mit welchen Erwartungen gehen Sie in die Vermittlungsgespräche, die heute beginnen?
Wir gehen offen in die Gespräche.
Offenbar will der Senat Zugeständnisse beim Elternwahlrecht machen. Würden Sie das als Kompromiss akzeptieren?
Wenn es nur das Elternwahlrecht nach Klasse sechs wäre, würden wir nicht auf den Volksentscheid verzichten.
Der Hamburger Senat will unbedingt an der sechsjährigen Primarschule festhalten. Werden Sie sich darauf einlassen?
Wenn die Primarschule als Zwangsmodell nicht verhandelbar sein sollte, werden wir am 18. März den Antrag auf Volksentscheid stellen.
Was macht Sie so sicher, die erforderlichen 20 Prozent der Wählerstimmen und eine Mehrheit zu bekommen?
Die Erfahrung im Volksbegehren. Quer durch die Stadt und alle Schichten haben die Menschen gesagt, diese Reform wollen wir nicht.
Das sind bisher aber nur 14 Prozent der Wahlberechtigten.
Bei unserem Volksbegehren haben mehr Menschen unterschrieben als je zuvor. Es würde jeglicher wahltechnischer Erfahrung widersprechen, wenn diese 184.500 Menschen die Einzigen wären, die mit uns die Reform ablehnen.
Der Misserfolg der Pro-Reli-Initiative beim Volksentscheid in Berlin zeigt, dass so etwas passieren kann.
Das war ein Thema, das nur einen überschaubaren Teil der Bevölkerung betroffen gemacht hat. Die Schulreform bei uns hat ein viel größeres Bewusstsein in der breiten Bevölkerung.
INTERVIEW: ANNA LEHMANN