: Straßenkampf im Parlament
High Noon im Abgeordnetenhaus: In der bestbesuchten Sitzung des Bauausschusses treffen wütende Hausbesitzer auf die Bausenatorin. So wird das Straßenausbaubeitragsgesetz spannend
VON ULRICH SCHULTE
Die Gegnerin kann kommen, Burghard Hoyer ist bereit. Der rundliche 61-Jährige mit erstaunlich schwarzen Locken hat die Arme vor der Brust verschränkt und die Füße hinter die Lehne des nächsten Sitzes gerammt. Links in der speckigen Lederweste steckt der Kuli, in der Innentasche ein Info-Flyer. „Man muss ja Protesthaltung zeigen, sonst macht die, was sie will.“ Hoyer starrt auf die Videoleinwand im Medienraum des Abgeordnetenhauses. Die Gegnerin lässt sich noch nicht blicken.
Die Bausenatorin kennt den Hausbesitzer Hoyer aus Kaulsdorf wohl nicht. Sie findet es aber toll, dass er da ist. Sagt sie. „Es ist wunderbar, dass so viele gekommen sind, um sich an diesem demokratischen Prozess zu beteiligen.“ Ingeborg Junge-Reyer (SPD) steht vor dem Ausschussraum 311 des Parlamentes, ein paar Treppen höher als ihr Widersacher, und drückt das Kreuz durch. Die Senatorin lächelt.
Sie wird ihr Gesetz verteidigen, genauer: das „Straßenausbaubeitragsgesetz“ (StrABG). Es besagt, dass Burghard Hoyer, Besitzer eines Bungalows auf einem 1.090 Quadratmeter großen Grundstück, viel Geld bezahlen müsste, wenn die Behörde die kleine Straße vor seinem Haus ausbauen wollte. Was bisher das Land zahlte, sollen bald zum Teil die Hausbesitzer übernehmen, weil das Land pleite ist (siehe Kasten). Deshalb sind einige Fachleute in Sachen Hausbesitz und die Senatorin Junge-Reyer zu Gast bei der öffentlichen Anhörung des Bauausschusses, Hoyer ist da – und mit ihm 520 Berliner. Einfach gesagt, würden sie der Senatorin ihr Gesetz am liebsten um die Ohren hauen.
Das Volk hat also die Volksvertretung heimgesucht. Gegen ein Uhr ringelt sich die Schlange empörter WählerInnen auf dem Vorplatz schon um den Weihnachtsbaum. Sie zeigen ihre Personalausweise vor, in Jutebeutel haben sie Butterbrote und Notizblöcke gepackt. „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir je so einen Auftrieb hatten“, sagt Lutz-Rainer Düsing, der Parlamentssprecher. Im April 2004, als es im Gesundheitsausschuss um den Telebus ging, mussten sie nur den Festsaal zusätzlich aufschließen. Diesmal braucht es vier Säle für die Massen.
Das Volk hat im Ausschussraum Platz genommen. Der typische Hausbesitzer ist Mitte sechzig, männlich, trägt Wollpullunder und bequeme Halbschuhe. Mit grimmigen Gesichtern blicken die Eigentümer nach vorn, wo die Senatorin ihren Blazer zurechtzupft und die Fachpolitiker der Parteien sich freuen, dass endlich mal was los ist.
Sie werden ihr Bestes geben, damit der Rekord-Ausschuss zu einer lustigen Sache wird. Das Wort hat Ausschusschef Manuel Heide (CDU), von dem man sonst selten hört. „Bei dieser Anhörung stehen die Experten im Mittelpunkt. Ich bitte das Publikum, sie nicht direkt anzusprechen und sich mit Missfallensäußerungen zurückzuhalten.“ Heide stellt sich konsequent selbst in den Mittelpunkt seiner Rede. Er habe ja beantragt, den Plenarsaal für die Sitzung zu öffnen, den vielen interessierten Bürgern zuliebe. Leider habe der Parlamentspräsident abgelehnt. Der ist bei der SPD.
Es folgt eine Viertelstunde, in der sich die Politiker erst mal selbst anhören. CDUler (mit Verve): „Ich stelle den Antrag, den Plenarsaal zu öffnen!“ SPDler (ängstlich): „Wir wollen doch auch, dass alle Leute reinkommen – aber der Präsident hat entschieden.“ CDUler (empört): „Das ist eine Katastrophe!“ Zuhörer (ergraut): „Maulkorb, ein Maulkorb ist das!“ FDPler (eilig): „Und eine Zumutung!“ SPDler (schneidend): „Es gibt strenge Auflagen für den Plenarsaal. Die CDU hat im Präsidium keinen Antrag gestellt. Sich jetzt als Vertreter der Entrechteten aufzuspielen ist Pipifax.“ Die CDU grummelt, das Volk murrt. Zwei Stunden später wird die Sicherheitsangestellte am Eingang die Listen durchblättern und sagen, dass sogar Plätze frei blieben.
Doch Straßenkampf ist eben Straßenkampf. Die Angestellten des Parlamentsservice hetzen hin und her. Sie servieren sonst ab und zu einen Kaffee weiß, jetzt balancieren sie Bockwurst mit Brot in die hinteren Ränge. Der Duft zieht über graue Auslegware bis nach vorn, wo Senatorin Junge-Reyer lächelt.
Sie erklärt jetzt ihr Gesetz, und sie schafft es, den Saal ruhig zu reden, indem sie Sätze aneinander reiht wie: „Das gestaffelte Vorgehen sorgt für größere Gerechtigkeit bei Inanspruchnahme durch die Betroffenen.“ Ihr zuzuhören ist, wie in eine Packung Knäckebrot zu beißen. Die Bockwurst-Stimmung verfliegt.
Dann sind die Experten dran: Der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick fürchtet mehr Verwaltungsaufwand, der Mieterverein steht dem Gesetz „neutral“ gegenüber, die Frau vom Landesverband Freier Wohnungsunternehmen mutmaßt, dass es nur „dem Ziel der Erzielung von Einnahmen“ dient.
Im gedimmten Licht des Medienraumes sitzt Burghard Hoyer, die Brille hat er auf dem Tisch nebenan abgelegt. Für eine „glatte Lüge“ hält er das Argument, dass durch eine neue Straße auch der Grundstückswert steigt. „Von wegen Mehrwert, da hauen die Autofahrer dann mit 80 Sachen durch.“ Eine gute Straße, gut, hat ja keiner was gegen, sagt Hoyer. Klar, dass die was kostet. Warum nicht die Grundstückssteuer leicht erhöhen? Einen Erfolg kann er am Abend verbuchen: Die SPD will das Gesetz nachbessern. Hausbesitzer sollen über einen Straßenausbau mitentscheiden dürfen.