: Familie zwischen Herd und Tellerbord
ZONE Drei Jahre hat Dona Schwartz ihre Familie fotografiert. In ihrer Küche in Minneapolis mussten sich Eltern, Kinder und Stiefkinder neu finden. Der Fotoband „In the Kitchen“ zeigt eine Versuchsanordnung der Moderne
■ Das Projekt: Als Dona Schwartz einen neuen Mann kennenlernt, planen die beiden, erst zusammenzuziehen, „wenn die Kinder groß sind“. Aber dann finden die amerikanische Fotografin und ihr Freund Ken ein tolles Haus in Minneapolis und wagen es. Alle zehn Mitglieder der neuen Patchworkfamilie ziehen unter ein Dach. Das Verknüpfen dieses vorerst brüchigen Netzwerks hat Schwartz professionell zu ordnen versucht. Drei Jahre lang, zwischen 2003 und 2005, fotografierte sie jeden, der in die Küche kam, alles, was sich dort bewegte und zutrug.
■ Die Familie: Dona und Ken bringen Kinder mit, jeder drei. Mit Dona kommen Eric, 16, Lara, 10, und Daniel, 21 Jahre alt. Ken bringt Hillary, 17, Chelsea, 14, und Justin, 21, mit. Die beiden ältesten Söhne haben nur Gaststatus, sie wechseln 2003 ans College. Auch Donas Mutter lebt mit im Haus. Auf den Bildern zu sehen sind zudem jede Menge weitere Onkel, Tanten, Großeltern und Freunde der Kinder.
■ Das Buch: Das Buch „In the Kitchen“ ist 2009 im Heidelberger Kehrerverlag erschienen, im April wird es in den USA herausgebracht. Der 176-Seiten-Band umfasst 110 Querformate und ein sehr persönliches Vorwort von Dona Schwartz, in dem sie die Geschichte ihrer Großfamilie erzählt. Das Buch kostet 36 Euro.
VON ANJA MAIER
Familie ist ein hoch neurotisches System. Erst recht eine Familie, die sich neu findet, finden muss. Eine, die zusammengesetzt ist. Weil Eltern sich trennen, neue Partner finden und mit denen – und deren Kindern – zusammenziehen. Dona Schwartz weiß, wovon sie spricht, wenn sie im Vorwort ihres Fotobands „In the Kitchen“ über ihre eigene frisch zusammengesteppte Patchworkfamilie schreibt: „Es hat uns Monate gekostet, um miteinander so etwas wie Routine hinzukriegen. Zahllose Versuche und noch mehr Fehlversuche.“
Die amerikanische Fotografin Dona Schwartz ist nach ihrer Scheidung mit einem neuen Partner zusammengezogen. Dona und Ken bringen sechs Kinder in die gemeinsame Beziehung: Eric, Lara, Hillary, Chelsea, Daniel und Justin. Vier von ihnen mäandern gerade in jener Zwischenwelt, die unter dem Label Pubertät firmiert. Kinder, die, weil ihre Eltern ihre Beziehungen nicht klargekriegt haben, nun so was wie Geschwister werden sollen. Kann das gut gehen? Dona Schwartz hat sich dieser Versuchsanordnung professionell und privat genähert – als Fotografin, Mutter, Stiefmutter und Partnerin.
Familie, dieses System der Missverständnisse, Lieben und Euphorien, braucht Schauplätze, Felder, Grenzen. Diesen Raum definiert die Künstlerin als die Küche. „Eine neutrale Zone, die wir alle ausfüllen“, schreibt sie in ihrem erfreulich persönlich gehaltenen und unschwurbeligen Vorwort. „In der Küche führen wir unsere täglichen Dramen auf. Hier bringen wir gemeinsam alles durcheinander und tun unser Bestes, es wieder in Ordnung zu bringen.“
In der Tat, Mut zum Operieren zwischen Chaos und System scheint diese Familie zu brauchen. Und erstaunlichen Langmut, bedenkt man, dass zwischen Herd und Tellerbord ständig eine Frau fotografiert. Ist es nicht schon genug verlangt, dass jeder hier sich selbst im neuen Familiensystem spiegeln und einordnen muss? Tut es not, dass da dauernd der Auslöser klickt?
Erstaunlich gelassen ertragen die Truppenteile, die da durch die Schwartz’sche Küche ziehen, das Fotografiertwerden. Es wird ja nicht nur irgendwas mit Öl und Ketchup zubereitet oder mal kurz der Lippenstift nachgelegt. Nein, es gibt auch Streit über Kleinigkeiten und Großigkeiten. Es gibt Getöse und krisenhaftes Schweigen und Starren
Es wird dem erstaunten Opa das nigelnagelneue Bauchnabelpiercing präsentiert. Und es ziehen Heerscharen befreundeter Kinder und Jugendlicher durch die womöglich doch nicht so neutrale Zone dieser Großfamilie.
Drei Jahre lang, zwischen 2003 und 2005, hat Dona Schwartz das alles fotografiert. Das Kommen und Gehen. Bleiben und Fliehen. Sie hat nicht lockergelassen, sich offensichtlich nicht gelangweilt in ihrer großen Küche in Minneapolis. Man sieht es in ihren Querformaten, man spürt, wie sie etwas zu ordnen versucht hat, was sich nicht systematisieren lässt: Gefühle, Beziehungen.
Am Ende dieser Zeit leert sich die Zone. Die Kinder sind keine mehr, sie gehen hinaus in die Welt, um eigene Küchen zu haben, in denen sie nun ihr persönliches Lebenstheater aufführen. Zurück bleiben ein Mann und eine Frau. Eltern, die versucht haben, das System Familie zu bilden, zusammenzuhalten und letztlich aufzulösen.