deutschland, ein weihnachtsmarkt von WIGLAF DROSTE
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Den Deutschen beim Deutschsein zuzukucken, stimmt seltsam. Klug, elegant, lässig, stilvoll und charmant will das einfach nicht aussehen. Ganz im Gegenteil. Im Westen, Osten, Süden, Norden, die Deutschen sind debil geworden. Was für Städte, was für Bewohner: Potsdam, Berlin, Hannover, tazzwei singt von Dutschkes Pullover. Geht es … – nein, es geht nicht noch doofer.

An der Porta Westfalica, nahe Minden, steht ungeschleift das Kaiser-Wilhelm-Denkmal, 1892 bis 1896 erbaut und heute nicht nur Ausflugsziel für unsere in Reisebussen durchs Land marodierende Geriatrie, sondern auch für den Neonazi-Nachwuchs. Kein Wunder: Wilhelm hebt ganz prächtig den rechten Arm – irgendetwas haben sie in diesem Land damit. Wenn nichts mehr geht, rechter Arm geht immer. Wenn ein deutscher Kaiser bebt / und sein rechter Arm sich hebt, / was wird uns so angezeigt? / „Ich bin’s, der es hier vergeigt?“ / Wie der Dummheitspegel steigt? / Das Gehirn in toto streikt?

Wo immer man auch aus dem Zug steigt im deutschen Herbst, fällt man in einen Weihnachtsmarkt. Alle Weihnachtsmärkte sehen gleich aus, und alle riechen gleich. Wozu über Asbest und Feinstaub lamentieren, solange es Weihnachtsmärkte gibt? Hemmungslos bebratwursten sich die Landsleute und glühweinen einander die Mantelkrägen nass. Eine Patina aus Punch-Punsch und antikem Bratfett klatscht sich aufs Antlitz der Welt und lässt es leuchten. Schlafsackartig daunenbejackt wandelt die Weihnachtsmarktbesucherschaft und zeigt: Es gibt Gummizelle jetzt auch zum Anziehen.

Ihre Bewohner brummkreiseln, Zuckerwatte und Würzfleisch aus Vorkriegsbeständen gleichzeitig und happi-happi-lecker in sich hineinzwängend, von Bretterbude zu Bretterbude. Ihre Herzen sind aus Lebkuchen und lügen nie. „Mutti’s Bester“ hat einer sich vor die wattierte Kalbskopfbrust gehängt. Von all der weihnachtsmarktlichen Lebensfreude ist ihm ein wenig schlecht geworden. Kraftvoll stößt er auf, den stieren Blick vage an ein fernes Ziel geheftet, das allein ihm bekannt ist, wenn überhaupt. Rülpst er noch oder erbricht er schon? Grausend flieht man die Welt. Was des Menschen Sinne plagt, heißt in Deutschland Weihnachtsmarkt.

Wenn ausnahmsweise kein Weihnachtsmarkt, kein Winzer- oder Kiezfest ist, werden die Buden fortgeräumt und verstellen nicht länger den Blick auf die herrlichen Städte, die sie zuvor verbargen und die auch ohne Weihnachtsmärkte ganz identisch aussehen. Die Städte haben nichts zu verlieren als ihre Drogerie- und Buchhandelsketten, Discounterkinos, Schnellgiftmischereien und Parfümerien; Letztere kombinieren ihre Düfte auf das Hinreißendste.

Unbewohnbar ist das alles längst, die mit Hochglanzramsch voll geknotteten Arkaden taugen zum Viehdurchtrieb, und willig lässt das Vieh sich durchtreiben. Die häufig geäußerte Wahrnehmung, es gebe stetig mehr Verrückte, berührt nur die Oberfläche. Das, was normal genannt wird, galoppiert auf Ecstacy.

Stadtplanung ist Sadismus im Überbau, Architektur wird als Strafe verstanden und ist auch so gemeint. Das Architekturbüro Bin Laden & Partner könnte hier viel Gutes tun, gerade in Deutschland, dem Weihnachtsmarkt, abgekürzt WM.