: Diese doofe Chancenverwertung
CHAMPIONS LEAGUE Beim erstaunlich souveränen 2:0 gegen Juventus Turin beweist Bayern München, dass es mittlerweile das Format besitzt, sein Chelsea-Trauma zu besiegen
AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER
So richtig Lust zum Reden hatte Gianluigi Buffon irgendwie nicht. Doch da die Architekten der Münchner Fußballarena perfiderweise vor den Parkplatz des Mannschaftsbusses noch die sogenannte Mixed Zone hingebastelt haben, kam der ungefähr seit dem Karriereende von Lew Jaschin als Welttorhüter geführte Keeper nicht an den Reportern vorbei. Der Torhüter von Juventus Turin beschränkte seinen Auskunftswillen allerdings auf ein paar dünne Worte. „Kann man besser machen“, knödelte er in die Schar der Digitalgeräte, ohne dabei die iPod-Stöpsel aus dem Ohr zu nehmen. Dann war er auch schon wieder weg: Nachtruhe und so. Buffon ist schließlich schon 35, und die Stunden vor Mitternacht sollen ja die wertvollsten sein.
Wertvoll war der Turiner Über-Torwart an diesem Abend auch für den FC Bayern. 2:0 gewann der deutsche Rekordmeister in einem so temporeichen wie temperamentvollen Viertelfinal-Hinspiel. Das einerseits Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge schwärmen ließ: „Ein Wunschergebnis! Wahrscheinlich war es das beste Champions-League-Spiel dieser Saison!“ Das andererseits aber, ohne Buffons Unterstützung, womöglich 0:0 statt 5:0 hätte ausgehen können.
Das klingt rechtschaffen absurd. Aber: Sowohl beim leicht abgefälschten 1:0 durch David Alaba (nach von der Uefa vermessenen 25,02 Sekunden) als auch beim 2:0 von Thomas Müller (in der 63. Minute nach vorausgegangenem Luis-Gustavo-Schuss) sah Buffon nicht gut aus – trotz wieder mal reichlich Gel im Haar. Andererseits hätte er sich auch nicht beschweren dürfen, wenn ihm die Bayern die Bude so voll gemacht hätten wie dem Hamburger Kollegen René Adler ein paar Tage zuvor.
Bastian Schweinsteiger sorgte sich nach dem Schlusspfiff ein wenig („Mein Gefühl sagt mir, wir hätten ein Tor mehr machen müssen“), Lichtgestalt Franz Beckenbauer hätte auch lieber mehr Treffer gesehen („Ein 3:0 oder 4:0 wäre auch in Ordnung gewesen“), und Thomas Müller meinte listig: „Beim 2:0 ist die Konzentration im Rückspiel vielleicht noch ein Stück höher.“
Der FC Bayern macht sich also Sorgen, ob er auf dem Weg ins Champions-League-Halbfinale hoch genug gegen den künftigen italienischen Meister gewonnen hat. Das beschreibt die aktuellen Verhältnisse in Fußball-Europa ganz gut: Der FC Bayern hat mittlerweile ein Format erreicht, das es ihm erlaubt, auch auf internationaler Ebene ein Torfestival nach dem anderen abzuliefern – wenn bloß nicht diese doofe Chancenverwertung wäre.
Beeindruckend und bemerkenswert ist aber, mit wie viel Verve und Herz all diese Chancen erarbeitet und herausgespielt werden. Da ackert ein Mittelstürmer Mandzukic im Mittelfeld wie ein Berserker, als gäbe es einen Preis für den schurkigsten Balldieb zu gewinnen. Da grätscht der chronische Vorwärtskicker Ribery im eigenen Strafraum den Gegner ab. Da schlüpft Storchenbein Müller nahtlos in die Rolle des verletzt ausgeschiedenen Zauberfußes Kroos. Da gibt der nicht gerade massige Martinez-Ersatz Gustavo eine 1a-Dampframme im defensiven Mittelfeld. Die Viererkette fiel auch diesmal gar nicht weiter auf, weil sie kaum gebraucht wurde, denn vorne wurde schon so heftig gepresst, dass hinten außer ein paar Eckbällen nicht mehr viel ankam.
Ergo: Dieser FC Bayern ist nicht nur in bestechender Form, sondern vom ersten bis zum letzten Mann von einem heiligen Zorn beseelt: vom Zorn über die Niederlage vom 19. Mai 2012. Gerade in der Champions League geht die Truppe mit dermaßen viel Engagement zur Sache, dass man glauben könnte, Trainer Jupp Heynckes zeige in der Kabine jedes Mal wieder diese schrecklichen Szenen von der epischen Niederlage gegen Chelsea. Macht er bestimmt nicht. Er sagt lieber Sätze wie: „Eine bemerkenswerte Leistung meiner Mannschaft.“ Das beschreibt dieses 2:0 in der Tat ziemlich gut.