Drei Probleme, aber gut drauf

SCHULE Eine Studie belegt, dass Waldorflehrer ihren Job besser finden, als ihre staatlichen Kollegen. Das tun sie aber nicht wegen, sondern trotz der Verhältnisse an ihren Schulen

Die Waldorflehrer leben für ihren Job, mit all seinen positiven und negativen Seiten

VON CHRISTOPH RASCH

Es war eine Zahl, die Ende Januar große Aufmerksamkeit erregte unter Pädagogen und Erziehungswissenschaftlern: Neun von zehn Lehrern, die mit ihrem Beruf zufrieden sind; 90 Prozent, die sagen, dass sie sich im Unterricht verwirklichen können. Wohlgemerkt: An Waldorfschulen. So die Kernaussage einer groß angelegten Studie der Alanus Hochschule in Alfter bei Bonn in Kooperation mit der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Zum Vergleich: An staatlichen Einrichtungen sind nur 70 Prozent der Lehrer mit ihrem Berufsalltag zufrieden.

Die Untersuchung ist die weltweit erste repräsentative Studie zu den Arbeitsbedingungen der anthroposophischen Lehrer. „Die Waldorfpädagogik war für die Forschung lange Zeit ein Tabuthema“, erklärt Dirk Randoll diesen Umstand. Der 55-jährige Studienleiter ist Professor für empirische Sozialforschung an der Alanus Hochschule. Er sagt: „Die Einrichtungen selbst waren vorher nicht unbedingt bereit, sich einer wissenschaftlichen Untersuchung zu öffnen.“ Umso überraschender, dass Randoll und sein Team am Ende rund ein Drittel der 8.800 deutschen Waldorflehrer für die Studie befragen konnten.

Ebenfalls erstaunlich: Die hohe Zufriedenheit der Lehrer an den 235 deutschen Waldorfschulen gibt es offenbar nicht wegen, sondern trotz der Verhältnisse an ihren Schulen. Da ist zum einen die höhere Arbeitsbelastung: Waldorfschulen sind nach dem Selbstverwaltungsprinzip organisiert, sprich: ohne Rektor. Organisatorische Fragen oder pädagogische Entscheidungen trifft das Waldorfkollegium gemeinsam. Aber: „Diese Selbstverwaltung ist oft ineffektiv und verursacht hohe Arbeitsbelastungen bei den betroffenen Lehrern“, sagt Dirk Randoll, der auch seine eigenen Kinder auf eine Waldorfschule schickte. Der Wissenschaftler sieht deshalb Waldorfschulen mit dem sogenannten Mandatsmodell im Vorteil. Hierbei wählt das Kollegium einen Beauftragten für organisatorische Belange.

Dass die Verwaltung zu aufwändig ist, war in der Waldorfszene bereits Thema. So hat Randolls Studie auch eher „bestehende Eindrücke bestärkt und wissenschaftlich untermauert“, sagt Henning Kullak-Ublick vom Bund der Freien Waldorfschulen. Der ehemalige Lehrer bestätigt Randolls Kritik an der Selbstverwaltung: „Zu viel radikale Basisdemokratie kann einen Schulbetrieb auch lähmen.“

Auch die Besoldung nimmt die Studie kritisch in den Blick. „Waldorflehrer verdienen – je nachdem, wie voll die Klassen sind – bis zu 1.500 Euro weniger als ihre Kollegen an staatlichen Schulen“, weiß Randoll, „etwa jeder Fünfte muss deshalb noch einen Zweitjob außerhalb der Schule annehmen, um über die Runden zu kommen.“ Auch das deckt sich in etwa mit den Zahlen des Bundes Freier Waldorfschulen: „Unsere Lehrer verdienen im Schnitt 20 Prozent weniger als die Kollegen an staatlichen Einrichtungen“, sagt Henning Kullak-Ublick, „aber ein Riesenaufregerthema ist das in den Lehrerzimmern nicht.“

Allerdings: Sozialforscher Dirk Randoll beurteilt als Folge auch die Pensionsansprüche der Waldorflehrer kritisch: „Die bekommen im Alter zu wenig raus.“ Laut der Studie will jeder siebte Waldorfpädagoge auch nach dem Erreichen des Pensionsalters weiter unterrichten – viermal so viele wie an staatlichen Schulen. „Manche Pensionäre“, so Randoll, „haben aus finanziellen Gründen auch kaum eine Alternative.“

Ein drittes Problem beschäftigt die Waldorfschulen: Die Nachwuchsgewinnung. Bei der Überalterung des Lehrkörpers liegen staatliche und Waldorfschulen in etwa gleich auf, der Altersdurchschnitt beträgt hier wie dort rund 50 Lebensjahre. Ein Grund: Viele Waldorfschulen entstanden in den 1980er Jahren, die Pioniere von damals erreichen heute das Pensionsalter.

„Waldorfschulen“, sagt Randoll, „können junge, engagierte Lehrer oft nicht langfristig halten.“ Laut seiner Erhebung ziehen viele Junglehrer schon nach vier bis fünf Jahren weiter, und das setzt die Waldorfschulen unter Druck. Denn die Schülerzahlen steigen. „Unseren Schulen fehlen pro Jahr etwa 600 neue Lehrer“, bestätigt Waldorfschulenvertreter Hennig Kullak-Ublick. Forscher Dirk Randoll sieht die Waldorfschulen vor einem Generationswechsel „hin zu jüngeren Lehrern, die offener für Neuerungen sind“, sprich weniger dogmatisch an alten Organisationsstrukturen festhalten. Berufsanfängern, sagt Kullak-Ublick, solle der Einstieg erleichtert werden: Von einer speziellen Anlaufzeit über Mentorenmodelle bis hin zu Assistenzlehrermodellen in einzelnen Bundesländern.

Bleibt die Frage: Warum sind Waldorflehrer trotzdem zufriedener als ihre staatlich beschäftigten Kollegen? Einerseits, so gaben 80 Prozent der Befragten an, trage die intensive Beschäftigung mit den Ideen Rudolf Steiners zur Motivation bei. Vor allem aber können „Waldorfpädagogen ihre Schule aktiv mitgestalten, sie können mitbestimmen, welche Inhalte sie lehren“, sagt Randoll. Dieses Gefühl der „Selbstwirksamkeit“ beschreibt der Studienleiter als Hauptgrund für die hohe Zufriedenheit: „Die Waldorflehrer leben für ihren Job, mit all seinen positiven und negativen Seiten.“

■ „Ich bin Waldorflehrer“ – Einstellungen, Erfahrungen, Diskussionspunkte – Eine Befragungsstudie“ ist im Springer VS Verlag, Wiesbaden, erschienen