: Diese merkwürdig gebrochene Jedermannhaftigkeit
NACHRUF Sven Lehmann, Schauspieler am Deutschen Theater, ist nach schwerer Krankheit mit 47 Jahren in Berlin gestorben
Bevor man ihn sah, hörte man ihn. Der durchdringende, scharrende Ton dieser Stimme ließ aufhorchen und füllte den Raum. Bevor man noch die Figur richtig wahrnahm, die Sven Lehmann verkörperte, hatte seine Stimme den imaginären Boden für sie bereitet: klirrend, die Sätze metallisch ausstoßend. Besonders in der Regie von Michael Thalheimer faszinierte dieser Schauspieler mit seiner merkwürdig gebrochenen Jedermannhaftigkeit, die ihre Überhöhung in der ungeheuren Konzentration dieser Stimme erfuhr. Und so erzählte Lehmann hinter seiner sublimen Unscheinbarkeit stets auch eine unerfüllte Lebensgier seiner Figuren mit, die man als den Ursprung aller Tragik begreifen konnte: weil das Leben immer zu eng für diese Sehnsucht ist.
1965 im sächsischen Städtchen Borna geboren, absolvierte Sven Lehmann in den Jahren nach der Wende eine Schauspielausbildung an Berlins berühmter Ernst-Busch-Schule. Ein erstes Engagement führte ihn ans Bremer Theater, 1997 ging er ans Bayerische Staatsschauspiel, wo er dem Regisseur Andreas Kriegeburg begegnete, mit dem er auch am Deutschen Theater immer wieder gearbeitet hat, zu dessen Ensemble er seit 2001 gehörte.
Eine seiner ersten Berliner Rollen war König Ödipus in der Tragödie des Sophokles unter Hans Neuenfels’ Regie, als er die Kritiker nachhaltig mit der schillernden Blässe irritierte, mit der er diese Figur ausstattete. Ein Ödipus-Stoff sollte auch zu seinen letzten Stücken am Deutschen Theater gehören: Als blinder Seher Teiresias brillierte er in Stefan Kimmigs Inszenierung „Ödipus in der Stadt“, mit der an der Berliner Schumannstraße diese Theatersaison eröffnet wurde. Damals, weiß man nun, war er schon schwer krank. Am 7. Dezember stand er zum letzten Mal auf der Bühne des Theaters, das er als Schauspieler in den letzten Jahren wesentlich geprägt hat. Am Mittwoch ist er mit 47 Jahren in Berlin viel zu früh gestorben. ESTHER SLEVOGT