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Archiv-Artikel

Berliner leben ständig an der Kante zum Abstieg

STUDIE In keinem Bundesland ist das Armutsrisiko so hoch wie in Berlin, erklärt die Bertelsmann-Stiftung

Dass es sich in Berlin nicht so kuschelig lebt wie in Berchtesgaden oder Baden-Baden, dürfte bekannt seit. Nun hat das Land einen weiteren Negativstempel aufgedrückt bekommen: In keinem anderen Bundesland sei das Armutsrisiko so hoch wie in Berlin, befand die Bertelsmann-Stiftung. Für ihre Studie nahmen die Wissenschaftler Daten zu Sicherheit, Einkommen und Beschäftigung aus den Jahren 2006 bis 2008 unter die Lupe.

In Berlin erhielten der Studie zufolge knapp 200 von 1.000 Bürgern staatliche Leistungen – das sind 20 Prozent. Damit ist die Stadt Schlusslicht im Bundesländervergleich, hinter Sachsen-Anhalt, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Am sozial sichersten lebt es sich im Süden Deutschlands sowie in Rheinland-Pfalz. Dort lag der Anteil von Transferempfängern bei 7 Prozent.

Eine Ursache für den großen Unterschied zwischen West und Ost ist nach Ansicht der Stiftung, dass es in den neuen Ländern deutlich mehr allein erziehende junge Mütter und Väter gibt. Hier müssen im Schnitt 35 Prozent der Eltern unter 20 Jahren ihre Kinder ohne Partner aufziehen. In den westdeutschen Flächenländern schwankt ihr Anteil zwischen knapp 17 Prozent in Baden-Württemberg und gut 22 Prozent im Saarland.

Auch bei Beschäftigung und Einkommen liegt Berlin auf den hinteren Plätzen, überholte aber immerhin fünf Länder beim Wirtschaftswachstum. „Es hat schon einmal schlechter ausgesehen“, sagte Thorsten Hellmann von der Bertelsmann-Stiftung und lobte den vom einstigen Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) initiierten Sparkurs. Die Stiftung empfiehlt weitere Sparmaßnahmen etwa bei Personalausgaben. Auch sollte Berlin die Rahmenbedingungen für praxisnahe Forschung in den optischen Technologien, in der Biotechnologie und Verkehrssystemtechnik verbessern.

Bürokratieabbau gefordert

Um die Arbeitslosenquote zu senken, raten die Experten zu mehr Unternehmensservice. Berlin hat mit 21,6 Prozent offener und verdeckter Arbeitslosigkeit die zweithöchste Quote bundesweit. „Das Land sollte versuchen, sich einen Ruf als besonders unbürokratischer Standort zu erarbeiten“, heißt es in der Studie. Unternehmer- und Touristenfreundlicher könnte nach Ansicht der Stiftung zudem die Verkehrsinfrastruktur ausgerichtet sein. „Ein gut ausgebautes und modernes Verkehrsnetz trägt sowohl zur Attraktivität als Wirtschaftsstandort als auch zur weiteren Steigerung des Tourismus bei.“ Auf diesem Feld habe sich Berlin jedoch kontinuierlich verschlechtert, mahnte die Stiftung.

Letztlich bleibe noch einiges zu tun, bilanziert die Stiftung. Das Land habe lediglich die „ersten Schritte auf dem langen und steinigen Weg hin zur finanziellen Eigenständigkeit getan“. Hellmann fügte hinzu, dass der Abstand zu anderen Ländern etwa bei Bruttoinlandsprodukt und Wachstum sehr hoch sei. „Das ist irre schwer aufzuholen, wenn überhaupt.“ KRISTINA PEZZEI