Erst ausgenutzt, dann arbeitslos

von SABINE AM ORDE

Erwerbsarbeit ist der Schlüssel zur Integration, da sind sich Wissenschaftler und Politiker, Sozialarbeiter und Migrantensprecher einig. Doch mit Arbeit für Einwanderer sieht es extrem schlecht aus. Die Arbeitslosenquote der Nichtdeutschen hat im vergangenen Jahr einen historischen Höchststand erreicht. Jeder fünfte von ihnen hat keinen Job, bei den Türken ist es jeder vierte. Das ist der bundesweite Schnitt. In manchen Großstädten wie in Berlin ist die Lage noch dramatischer. Insgesamt liegt die Arbeitslosenquote bei den Nichtdeutschen fast doppelt so hoch wie bei den Deutschen. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil.

Zwanzig Prozent der ausländischen Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss, weitere 42 Prozent beendet lediglich die Hauptschule. Sie alle haben schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt: Insgesamt 40 Prozent der Jugendlichen bleiben ohne Berufsabschluss. Dabei bemühen sich vielerorts Zusammenschlüsse aus Schulen, Kammern, Bildungsträgern und Migrantenvereinen, den Übergang von der Schule in den Beruf zu verbessern. „Anders als für ältere arbeitslose Migranten gibt es bei den Jugendlichen inzwischen viele erprobte Ansätze“, sagt Leo Monz, Migrationsexperte beim DGB-Bildungswerk.

Den Migrationsforscher Jochen Oltmer überrascht diese Gesamtentwicklung nicht. Schließlich hätten die so genannten Gastarbeiter von Beginn an eine „konjunkturelle Pufferfunktion“ gehabt, sagt der Historiker vom Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS). Das heißt: Waren Migranten in wirtschaftlichen Krisenzeiten stets die Ersten, die ihren Job verloren, wurden sie beim Aufschwung zuletzt eingestellt. Am Anfang ging es allerdings um Wachstum. Als am 20. Dezember 1955, heute vor 50 Jahren, das erste Anwerbeabkommen mit Italien unterzeichnet wurde, stand das so genannte Wirtschaftswunder in den Startlöchern – Arbeitskräfte wurden dringend gebraucht. Bis 1973, als die Ölkrise den Anwerbestopp auslöste und die Ausländerbeschäftigung ihren Gipfelpunkt überschritt, stieg die ausländische Bevölkerung auf 2,6 Millionen. Die Einwanderer arbeiteten zunächst vor allem in der Landwirtschaft. Danach hauptsächlich in der industriellen Produktion – also in dem Bereich, in dem später die meisten Arbeitsplätze verloren gingen. Damit ist bereits ein Teil des Problems erklärt.

Anders als von der damaligen Bundesregierung geplant, blieben die meisten Ausländer nach dem Anwerbestopp, viele holten ihre Familien nach oder gründeten neue. Heute leben insgesamt 7,3 Millionen Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland, jeder vierte von ihnen ist türkischer Abstammung. Die zweitgrößte Gruppe sind die Italiener, es folgen Serben und Montenegriner sowie Griechen.

Noch immer steht die Hälfte der erwerbstätigen Nichtdeutschen am Band, ist also als Arbeiter tätig, nur ein Drittel als Angestellte. Bei den Deutschen ist es genau andersrum. Im öffentlichen Dienst ist der Anteil der Migranten weiterhin verschwindend gering. Immer mehr Einwanderer aber machen sich selbstständig. Insgesamt stellen ausländische Unternehmer mindestens eine Million Arbeitsplätze; über 600.000 davon bei griechisch-, italienisch- und türkischstämmigen Betrieben – und das nicht nur in Gemüseläden und Imbissbuden.

Neben dem Niedergang der verarbeitenden Industrie sind mangelnde Deutschkenntnisse und die schlechte schulische Qualifikation der zweite Hauptgrund für die Jobmisere der Migranten. Die Pisa-Studie hat gezeigt, dass dem deutschen Bildungssystem die Förderung von Migrantenkindern im internationalen Vergleich besonders schlecht gelingt. Mögliche Ursachen: Kindergärten und Schulen sind meist nur bis Mittag auf, die frühe Aufteilung der Schüler und die schlechte Ausbildung der Erzieherinnen, die hierzulande immer noch nicht auf eine Hochschule gehen müssen. Viele Bundesländer sind hier inzwischen an einigen Stellen aktiv geworden, sei es bei Deutschtests, der Sprachförderung im Kindergarten oder dem Ausbau der Ganztagsschule. Doch keines hat bislang ein schlüssiges Gesamtkonzept.

Allerdings sind nicht alle Migrantengruppen gleich stark von der Bildungsmisere betroffen. Während Italiener und Türken bei Untersuchungen im Durchschnitt stets schlecht abschneiden, können es Griechen und Spanier durchaus mit ihren deutschen Mitschülern aufnehmen. Gründe dafür gibt es viele: die häufig eher einfache Bildung der Eltern in den Einwandererfamilien, die Konzentration der Migrantengruppe im Wohnviertel, die Nähe des Herkunftslands. Denn wer sich – wie viele Italiener – häufig dort aufhält, dem fällt die hiesige Schule schwer.

Wichtig aber, sagt Sanem Kleff, die lange im Bundesvorstand der GEW für Multikulturelles zuständig war, sei auch das Unterrichtsangebot, das die Konsulate den Einwanderern machen. „Die Griechen bieten hier am Nachmittag den gesamten Unterricht einer griechischen Schule an“, sagt die Pädagogin. „Und das Angebot wird genutzt – auch heute noch.“ Die Kinder durchlaufen also zwei Schulen parallel. Mit großem Lernerfolg. „Sozial aber“, sagt Kleff, „sind diese Kinder überfordert.“