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Archiv-Artikel

Erst die Schule dicht, jetzt das Bad

Auf einer Tafel steht, „Liebes Biss! Du wirst uns sehr fehlen“: Nach 94 Jahren wurde das Bismarckbad in Altona geschlossen. Proteste blieben aus, Melancholie bestimmte die letzten Stunden am Sonntagabend bei denen, die Abschied nehmen wollten

Die Vorstellung, wie die Polizei die Sauna räumt, bereitet der Studentin Vergnügen

Von Marco Carini

Kurz nach halb neun. Die Stimmung ist gereizt. Es ist der letzte Öffnungstag des Bismarckbades, und auch der Leiter des Hauses weiß nicht, ob alle Gäste die Altonaer Schwimmhalle freiwillig verlassen werden am Sonntagabend. Es hält sich das Gerücht, dass eine Besetzung geplant ist. Die Mitarbeiter sind auf diese Situation vorbereitet worden. Die Presse ist dabei unerwünscht. Nur wer hier als Journalist eine normale Eintrittskarte kauft, darf rein. „Aber nicht fotografieren und mit den Gästen reden“, befiehlt ein leitender Mitarbeiter, der seinen muskulösen Oberkörper noch ein wenig hervorpresst, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

Später werden die Bediensteten des Bades berichten, sie hätten von der Leitung „einen Maulkorb verpasst“ bekommen – kein Wort zur Presse! Doch die meisten von ihnen reden hinter vorgehaltener Hand trotzdem, weil sie sich „den Mund nicht verbieten lassen wollen“.

Zum „Heulen sei ihr zumute“, berichtet etwa eine Mitarbeiterin, die seit über 20 Jahren den Eintritt kassiert. Sie habe „mit den Gästen in den vergangenen Wochen so viel geredet“, dass ihre Stimmbänder inzwischen merklich angekratzt seien. Seit Tagen schon habe sie „überhaupt keine Lust mehr gehabt, zur Arbeit zu kommen“. Ihre Kollegin, die seit 23 Jahren hier arbeitet „ist froh, dass es nun vorbei ist“. Die vergangenen Tage seien „anstrengend“ gewesen. Immer wieder dasselbe reden. Ein Bademeister berichtet, mit den Angestellten sei „fair umgegangen“ worden. Keine Kündigungen, die etwa zwei Dutzend MitarbeiterInnen seien alle in anderen Bädern untergekommen. Mehr aber dürfe er „nicht sagen“.

Schweigsam sind auch die letzten Gäste. Und wenn gesprochen wird, fällt fast immer das Wort Abschied. Im Saunabereich tummeln sich eine Stunde, bevor das Bad schließt, noch etwa 30 Leute. 15 Besucher ziehen in der großen Halle ihre letzten Bahnen. Keiner ist aus Zufall hier an diesem Abend. Und jeder sucht für sich nach einer Form, mit der in den Hallen liegenden Melancholie umzugehen.

Die Zeichen der bevorstehenden Schließung sind unübersehbar. Zettel mit der Aufschrift „defekt“ kleben an mehreren Föns, aus den an den Wänden hängenden Kunststoffrahmen haben Badegäste die meisten Werbeplakate bereits entfernt, die kaputte Hallendecke des Bades ist nur notdürftig abgedichtet.

„Seit einem Jahr ist hier nichts mehr repariert worden“, weiß eine 56-jährige Barmbekerin, die seit 30 Jahren Stammgast des Bades ist. Obwohl sie Ende des vergangenen Jahrzehnts aus Altona in den Hamburger Norden zog, habe sie „dem Bad die Treue“ gehalten. Nun wolle sie „noch ein letztes Mal saunen und zum Abschied auf die Sonnenbank“. Doch die ist bereits verriegelt.

Sag zum Abschied leise servus. Ein 27-jähriger Student ist aus Stellingen angereist, um „tschüß zu sagen“. Jahrelang sei er nicht mehr hier gewesen. Damals, als er noch in Altona gelebt habe und in der Bruno-Tesch-Gesamtschule gelernt habe, sei er häufig hier geschwommen. Nun sei „die Schule dicht und das Bad jetzt auch – ist schon komisch“.

Den längsten Weg zum kurzen Abschied hat ein 34-jähriger Handelskaufmann aus Frankfurt zurückgelegt, der extra angereist ist, „um noch einmal hier zu sein“. Immer wenn er beruflich oder privat in Hamburg gewesen sei, habe er „das Bad besucht, so vier bis fünf Mal pro Jahr“. Als er von der Schließung erfuhr, habe er sich in den Zug gesetzt. Er könne „nicht verstehen, wie so ein historisches Bad einfach dichtgemacht werden kann“, sagt er.

Eine Studentin schwimmt ihre letzten Runden. Sie habe erwartet, „dass hier noch irgendwas passiert“ und sei „gekommen, um sich in jede Form des Protests einzuklinken“. Die Vorstellung, wie Polizisten eine Besetzung auflösen oder Nackte aus der Sauna räumen, bereitet ihr sichtlich Vergnügen. „Das hätte für Schlagzeilen gesorgt!“ Doch von der Bürgerinitiative lässt sich an diesem Abend niemand blicken, die Chance für einen unterhaltsamen Protest verstreicht ungenutzt.

Um viertel nach neun geht es ein letztes Mal heiß her. Der letzte Aufguss in der Außensauna hat Mandarinenaroma. Auf der Tafel, auf der sonst der Name des Ansprechpartners im Saunabereich zu lesen ist, hat jemand geschrieben: „Liebes Biss! Du wirst uns sehr fehlen. Bis bald einmal. Aufwiedersehen!“

Um zwanzig vor zehn beginnt, von unsichtbarer Hand abgelassen, der Pegel des Aufwärmbeckens zu fallen. Die sieben Männer und eine Frau, die sich hier entspannen, verharren. Trotzig hocken sie noch auf den handwarmen Kacheln, als der letzte Tropfen längst abgelaufen ist.

Während die Mitarbeiter die Liegen hochklappen und die Müllkörbe wegräumen, nimmt ein Gast die letzte Sehhilfe aus der „Brillengarage“ des Saunabereichs. Ein nacktes Pärchen posiert vor der großen Wasserrutsche des kleinen Freizeitbades für ein Erinnerungsfoto. Ein Saunagast entwendet noch schnell die „Große Saunaordnung“ aus einem der Rahmen, „weil die hier sowieso niemand mehr braucht“.

Als um viertel nach zehn die letzten Gäste schweigend das Bad verlassen, ist die Kasse bereits nicht mehr besetzt. Der Nachzahlungsautomat ist, wie so vieles hier, defekt. Eine Frau, die ihre Badezeit überschritten hat und nun nicht nachlösen kann, muss von zwei Badegästen über das elektronisch gesteuerte Drehkreuz gehievt werden, um das Bad überhaupt verlassen zu können. Als sei der Abschied nicht schon schwer genug.

Um 22.34 Uhr ist es so weit. Im Foyer des Bades stehen die letzten Gäste, die sich von dem Bad nicht trennen wollen. „Ich würde jetzt gern abschließen“, verkündet der Badleiter freundlich aber bestimmt. Ein Mittdreißiger bedankt sich im Gehen noch „für den guten Service über all die Jahre“, dann fällt die Tür ins Schloss. Minuten später gehen die Lichter aus. Das Bismarckbad ist Geschichte.