: Die Despoten streicheln
AUSSENPOLITIK Die Stimmen gegen eine Moralisierung der internationalen Beziehungen nehmen zu – auch in der SPD. Usbekistan zeigt die Folgen
■ berichtet seit über zehn Jahren aus Zentralasien. Er gehört zu den wenigen Journalisten, die vor Ort über die Anfänge des kirgisischen Machtumsturzes und über das Massaker von Andischan berichteten.
Von Zerknirschung keine Spur. Eberhard Sandschneider, der Leiter des regierungsnahen Thinktanks „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“, verteidigte kürzlich noch einmal die jahrelange westliche Zusammenarbeit mit Hosni Mubarak: Der ägyptische Präsident habe „über viele Jahre eine fragile Stabilität im Nahen und Mittleren Osten gesichert. Eine sinnvolle Alternative lässt sich auch im historischen Rückblick nicht erkennen.“
Sandschneider ist kein Einzelfall. Dreizehn Jahre nach der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg gewinnen die Stimmen, die sich gegen eine Moralisierung der Außenpolitik wehren, an Gewicht. In ein ähnliches Horn bläst auch Frank-Walter Steinmeier (SPD): „Wir müssen uns verabschieden von der Unsitte moralisch überhöhter Schwarzweißmalerei. Veränderungen in vordemokratischen Gesellschaften brauchen Zeit. Sie lassen sich klug befördern, aber nicht von außen erzwingen“, schrieb der frühere deutsche Außenminister auf Spiegel Online. Die deutsche Außenpolitik sei nicht schießwütig, helfe aber langfristig, die Welt besser zu machen, heißt Steinmeiers Standpunkt übersetzt. Aber ist das wirklich so? Ein Rückblick auf Steinmeiers Amtszeit zeigt zumindest im Fall Usbekistan, dass dieser Anspruch einer politischen Täuschung gleichkommt.
Deutschland schert aus
Die speziellen deutsch-usbekischen Beziehungen begannen nach dem Massaker von Andischan, als der usbekische Präsident am 13. Mai 2005 einen Volksaufstand mit Panzerwagen niederschießen ließ und Hunderte Menschen tötete.
Auch vor dem Massaker gab es Unterdrückung in Usbekistan, aber doch auch Ansätze einer Zivilgesellschaft. Internationale Organisationen wie Internews und Human Rights Watch konnten im Land arbeiten, Radio Free Europe, BBC und die Deutsche Welle unterhielten ein Korrespondentennetz mit einheimischen Journalisten.
Danach verschärfte die usbekische Regierung die Repression so sehr, dass das Land heute zu den wenigen Staaten gehört, die keine unabhängige Zivilgesellschaft oder Medien zulassen.
Kurz nach Andischan reagierte die internationale Öffentlichkeit empört. Die EU verhängte im Oktober 2005 Sanktionen, die Einreiseverbote und ein Waffenembargo gegen Usbekistan vorsahen. Die Führungsclique um Präsident Islam Karimow war isoliert und fand nur in Peking und Moskau Verständnis. Es gab Hinweise, dass die Machtbasis des Herrschers erodierte.
Und dann scherte die Bundesregierung aus. Nur wenige Monate nach Andischan schenkte die deutsche Botschaft in Taschkent der usbekischen Armee Verbandsmaterial. Deutschland erlaubte dem damaligen usbekischen Innenminister Sokir Almatow, dem Hauptverantwortlichen der Bluttat von Andischan, sich aus „humanitären Gründen“ in Hannover behandeln zu lassen, obwohl die EU-Sanktionen gerade diesem Mann die Einreise verboten hatten.
Sozialdemokratischer Klassiker
2006 reiste Steinmeier zu dem verfemten Machthaber nach Taschkent. 2007 implementierte der deutsche Außenminister unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine Zentralasienstrategie, in deren Rahmen Usbekistan wieder zu einem vollwertigen Partner Europas und Deutschland aufgewertet wurde.
Im Halbjahresrhythmus weichte die EU unter Druck der deutschen Diplomaten die Sanktionen gegen Usbekistan nach und nach auf, um sie dann 2009 in den letzten Tagen von Steinmeiers Amtszeit ganz auszusetzen. Aber selbst in den Jahren, als das Waffenembargo noch in Kraft war, waren auf Geheiß des Auswärtigen Amtes usbekische Offiziere in Panzertaktiken ausgebildet worden.
Für Steinmeiers Politik gab es einen einfachen Grund: Der deutsche Afghanistaneinsatz läuft über die Basis in der usbekischen Grenzstadt Termes. Solange Bundeswehrsoldaten am Hindukusch stehen, muss Termes gehalten werden.
Den Deal „Despotenstreicheln gegen Militärbasis“ rechtfertigte Steinmeier mit einem Klassiker sozialdemokratischer Außenpolitik. Ein Wandel durch Zusammenarbeit solle langfristig Reformen in Usbekistan anstoßen; eine Isolierung des Landes wäre gefährlicher. In der von Steinmeiers Mitarbeitern durchgedrückten EU-Zentralasienstrategie finden sich dann auch wohlfeile Worte wie „Menschenrechtsdialog“ und „Rechtsstaatsinitiative“.
Die EU-Beschlüsse, die seit 2006 in Halbjahresfrist die Sanktionen gegen Usbekistan aufweichten, listeten ebenso brav Fortschritte auf. Die Todesstrafe sei in Usbekistan abgeschafft, der Habeas Corpus (also der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung) ins Rechtssystem eingeführt.
Die Stiftungen machen mit
Die Realität im Lande ist eine andere. Bis heute erhalten Angehörige von Folter entstellte Leichen aus usbekischen Knästen. Es gibt kein unabhängiges Rechtssystem, das Justizreformen umsetzen könnte. Die Zivilgesellschaft und Medien sind ausgeschaltet.
Die deutschen Stiftungen machen bei dem Täuschungsmanöver mit. Nach dem Massaker von Andischan warf der usbekische Staat die meisten internationalen Organisationen aus dem Land. Die Konrad-Adenauer-(KAS) und Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) durften dagegen bleiben. Sie organisieren seither brav und regimenah hunderte Seminare zur Zivilgesellschaft und schaffen so den Schein eines dialogbereiten Regimes in Usbekistan.
Acht Jahre nach Beginn der deutschen Usbekistanpolitik hat sich in dem Land eine kleptokratische Familiendiktatur gefestigt , die das Land ausbeutet und dessen zivile Strukturen vernichtet. Die deutsche Außenpolitik beförderte in Usbekistan eben nicht klug die Veränderungen einer vordemokratischen Gesellschaft, sondern stützte den dortigen Machthaber. Eine solche Politik ist jedoch brandgefährlich. Diktaturen können kurzfristig in einer Region Stabilität sichern, langfristig droht nach jahrelanger Repression aber ein Chaos wie in Syrien.
Nach der Bundestagswahl im Herbst könnte Steinmeier wieder in sein altes Amt als Außenminister zurückkehren. Es sieht nicht so aus, als hätte er aus dem Fall Usbekistan gelernt. MARCUS BENSMANN