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Archiv-Artikel

Der Mann mit der Minimalchance

Peter Neururer gilt als begnadeter Motivator, aber auch als akribischer Arbeiter

Er hat knallhart gedroht. Als Peter Neururer gemeinsam mit Co-Autor Thomas Lötz seine Biografie „Aus dem Leben eines Bundesligatrainers“ im Oktober 2012 vorstellte, stellte er sich und dem bezahlten Fußball hierzulande ein Ultimatum: entweder es kommt ein akzeptables Angebot bis zum Ende der Saison oder er hört auf.

Die endlose Warterei hatte am 57-Jährigen gezerrt – ein gealterter Trainer ohne Job, ohne Flutlicht, ohne Aufmerksamkeit. 2008/09 gab er zuletzt ein kurzes Gastspiel beim MSV Duisburg. Die meisten erfahrenen Übungsleiter verschwinden einfach irgendwann, weil sie keiner mehr will. Wahrscheinlich haben sie überall von Rostock bis München geschmunzelt und Neururers Drohung als eine Art sympathischen Hilferuf abgespeichert. Tatsächlich ließen sich diverse Medien noch einmal dazu hinreißen, den studierten Sportlehrer zu porträtieren – als Typus, der gegen das eigene Vergessen kämpft, als Arbeitsloser, der um eine Chance kämpfen will. Neururer meinte sein Ultimatum ernst. Er wollte nicht einfach verschwinden.

Gestern hat ihm nun der abstiegsbedrohte Zweitligist VfL Bochum seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt. Bei dem Klub hat der Schnauzbartträger aus dem westfälischen Marl bereits von 2001 bis 2005 gearbeitet. Ebenso wie Neururer kämpfen die Bochumer gerade gegen den Absturz in die sportliche Bedeutungslosigkeit. Die erste Amtszeit an der Castroper Straße war seine – dank Uefa-Cup-Qualifikation 2004 – bis dato erfolgreichste Station, die allerdings mit dem Abstieg des VfL endete. Zuvor war er das verhasste Image des Feuerwehrmanns, ob auf Schalke, in Berlin oder Köln, nie ganz losgeworden. Dann wurde es still um ihn. Eine Stille, gegen die Neururer verbissen anquatschte, zuletzt als Experte beim Spartensender Sport1.

Im Juni 2012 erlitt er auf einem Gelsenkirchener Golfplatz einen Herzinfarkt. Mit dem Rauchen habe er aufgehört und nun „bessere Werte als je zuvor“, sagte er im Herbst bei seiner Buchvorstellung. Das Engagement beim VfL ist seine Chance, es noch mal allen zu zeigen. Er gilt als begnadeter Motivator, aber auch als akribischer Arbeiter mit großem Fachwissen. In jedem Fall wird Neururer das Land wieder mit explosivartig vorgetragenen Analysen eindecken: „Wir haben aus dieser äußerst großen Minimalchance, minimaler geht es gar nicht mehr, eine etwas kleinere gemacht, die größer geworden ist.“ JAN SCHEPER